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Die Akten des Warschauer Paktes

Geheimes über Militärbündnis der Sowjet-Ära - Polen öffnet Archive

Von Wolfgang Jung
Prag (dpa). 15 Jahre nach der Auflösung des Warschauer Pakts will Polen 90 Prozent seiner geheim gehaltenen Akten über das Militärbündnis aus der Sowjet-Ära veröffentlichen.

Nach Einschätzung von Historikern könnte die mit Spannung erwartete Öffnung der Archive insbesondere den Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei 1968 sowie die Verhängung des Kriegsrechts 1981 in Polen genauer beleuchten. Aber auch darüber hinaus seien viele Fragen zum Gegenspieler der NATO im Kalten Krieg ungeklärt, meint der SPD-Politiker und letzte DDR-Außenminister Markus Meckel.
Zwar waren seit der politischen Wende von 1989 immer wieder interne Pläne des Militärbündnisses bekannt geworden. Zum Beispiel ergab ein im vergangenen Jahr in Tschechien gefundener Lehrfilm, dass der Flughafen im bayerischen Lechfeld für den Fall eines bewaffneten Ost-West-Konfliktes als wichtiges Angriffsziel auf den Listen des Warschauer Pakts stand. Für den Film war der NATO-Stützpunkt in den 80er Jahren sogar in der Slowakei detailliert nachgebaut und während eines Manövers bombardiert worden.
Es gebe aber »noch genügend andere interessante Dinge«, meint Meckel. Er hält die polnische Initiative für einen guten Beschluss: »Er wird zwar möglicherweise in Moskau den einen oder anderen beunruhigen. Der Beschluss kann aber dazu führen, dass der Kommunismus endlich in internationalen Zusammenhängen aufgearbeitet wird.« Bisher erledige dies jeder Staat leider nur für sich, bemängelt der Bundestagsabgeordnete.
Auch in Prag, wo der Warschauer Pakt 1991 nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa sowie der Sowjetunion aufgelöst wurde, stößt die Initiative auf Verständnis. »Ich erwarte zwar keine Sensation und glaube vielmehr, dass die Akten lediglich die damalige Doktrin des Paktes atmen werden«, meint der Leiter des Militärhistorischen Institutes, Ales Knizek. Dennoch sei »sehr interessant«, wie zum Beispiel das Verhältnis Polens zur Sowjetunion dargestellt werde, sagt der Oberleutnant der tschechischen Armee.
Dies sieht man in Russland offenbar anders. Die geplante Offenlegung sei »eine politische Provokation«, kritisierte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Duma in Moskau, Konstantin Kossatschew. Der Pakt war 1955 in Warschau gegründet worden. Darin schlossen sich unter Führung der UdSSR außer Polen die Tschechoslowakei, die DDR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien zusammen.
Nach Angaben des polnischen Verteidigungsministers Radoslaw Sikorski befinden sich unter den 1445 Dokumenten zum Beispiel strategische Pläne und Informationen über Manöver. Alle freigegebenen Akten sollen zunächst Historikern zur Verfügung gestellt werden. Laut Meckel kann die NATO als freie Allianz von Staaten zwar nicht mit dem Warschauer Pakt gleichgestellt werden. Trotzdem könne er sich vorstellen, dass vor dem Hintergrund der polnischen Entscheidung auch die Offenlegung von Akten aus Brüssel ihren Reiz hätte: »Zum Beispiel wäre ein Antwort auf die Frage, wie stark die NATO im Rüstungswettlauf wirklich war, hochinteressant.«

Artikel vom 05.01.2006