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11:55 Bénabar, ich binÕs, Nathalie, nicht weitergekommen
15:03 Sardou, Pinsel gereinigt
21:23 Daho, Heiabett

Er antwortete ihr nur ein einziges Mal:
01:16 Ruhe

Wollte er damit sagen: Schichtende, Frieden, Ruhe, oder wollte er sagen: Klappe?
Da sie im Zweifel war, schaltete sie ihr Handy aus.


19. Kapitel
Camille schloß die Läden, verabschiedete sich von... den Blumen, streichelte die Katze und schloß die Augen.

Ende Juli.
Paris erstickte.

In der Wohnung war es still. Als hätten sie sie schon vertrieben.
Hop, hop, hop, sagte sie zu ihr, ich muß noch etwas zu Ende bringen.

Sie kaufte ein wunderschönes Heft, klebte auf die erste Seite die alberne Charta, die sie einen Abend im La Coupole geschrieben hatten, sammelte all ihre Bilder zusammen, ihre Pläne, ihre Skizzen etc., um sich an alles zu erinnern, was sie hinter sich ließen und was im selben Atemzug verschwinden würde.
Es war Platz genug, um auf diesem großen Boot zehn Luxus-Kaninchenställe zu bauen.

Anschließend wollte sie zunächst das Nachbarzimmer leeren.
Dann.
Wenn die Haarspangen und die Tube Polident ebenfalls weg wären...

Als sie ihre Bilder sortierte, legte sie das Porträt ihrer Freundin auf die Seite.
Bisher war sie von der Idee einer Ausstellung nicht sehr erbaut gewesen, doch allmählich... allmählich wurde sie zu einer fixen Idee: sie wieder zum Leben zu erwecken. An sie zu denken, über sie zu reden, ihr Gesicht, ihren Rücken, ihren Hals, ihre Hände zu zeigen. Sie bedauerte, daß sie nicht aufgezeichnet hatte, was Paulette beispielsweise an Kindheitserinnerungen erzählt hatte. Oder von ihrer großen Liebe.
»Das bleibt unter uns, hörst du?«
»Ja, ja.«
»Tja, er hieß Jean-Baptiste. Ein schöner Vorname, findest du nicht? Wenn ich einen Sohn gehabt hätte, ich hätte ihn Jean-Baptiste genannt.«
Noch hatte sie den Klang ihrer Stimme im Ohr, aber... Wie lange noch?

Da sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, beim Werkeln im Haus Musik zu hören, ging sie in Francks Zimmer, um sich seine Anlage auszuleihen.

Sie fand sie nicht.
Aus gutem Grund.
Es war nichts mehr da.
Außer drei Kartons, die an der Wand gestapelt waren.

Sie legte den Kopf an die Tür, und das Parkett verwandelte sich in Treibsand.
Nein. Nicht er. Nicht auch noch er.
Sie steckte die Fäuste in den Mund.
Nein. Es fing wieder an. Sie war erneut im Begriff, alle zu verlieren.
Nicht schon wieder, verdammt.
Nicht schon wieder.

Sie schlug die Tür zu und rannte ins Restaurant.
»Ist Franck da?« fragte sie außer Atem.
»Franck? Nee, ich glaub nicht«, antwortete ein großer Kerl ziemlich träge.
Sie hielt sich die Nase zu, um nicht loszuheulen.
»Ar... Arbeitet er nicht mehr hier?«
»Nee.«
Sie ließ die Nase los und...
»Das heißt, seit heute abend nicht mehr. Ach. Da ist er ja!«
Er kam von seinem Spind und hatte seine gesamte Wäsche zu einer Kugel zusammengerollt.
»Sieh an«, meinte er, als er sie erblickte, »da ist ja unsere Gärtnerin.«
Sie weinte.
»Was ist denn los?«
»Ich dachte, du wärst weg.«
»Morgen.«
»Was?«
»Ich fahre morgen.«
»Wohin?«
»Nach England.«
»Wa...Warum?«
»Erstens, um Urlaub zu machen, und zweitens, um zu arbeiten. Mein Chef hat mir eine Superstelle besorgt.«
»Bekochst du die Königin?« versuchte sie zu scherzen.
»Nee, besser, Chef de Partie in Westminster.«
»Ehrlich?«
»Die absolute Topstelle.«
»Aha.«
»Und wie gehtÕs dir?«
»...«

»Komm, laß uns noch was trinken. Wir werden doch nicht einfach so auseinandergehen.«


20. Kapitel
Drinnen oder auf der Terrasse?«
»Drinnen.«

Unzufrieden sah er sie an:
»Du hast schon wieder alle Kilos verloren, die ich dir angesetzt habe.«
»...«
»Warum gehst du weg?«
»Weil, das hab ich doch gesagt. Das ist eine prima Beförderung und außerdem... eh... Einfach so, halt. Ich kann es mir nicht leisten, in Paris zu leben. Jetzt sagst du wahrscheinlich, ich könnte jederzeit Paulettes Haus verkaufen, aber das kann ich nicht.«
»Ich verstehe.«
»Nein, nein, nicht deswegen. Nicht wegen der Erinnerungen und so. Hm. Nein, es ist nur so, daß... Die Bude gehört mir nicht.«
»Gehört sie deiner Mutter?«
»Nein. Dir.«
»...«
»Paulettes letzter Wille«, fügte er hinzu und zog einen Brief aus seiner Mappe. »Hier, lies selbst.«

Mein lieber Franck,
bitte stör dich nicht an meiner krakeligen Schrift, ich sehe nicht mehr gut.
Aber ich sehe durchaus, daß die kleine Camille meinen Garten sehr mag, und das ist der Grund, weshalb ich ihn ihr gern vermachen würde, wenn du keine Einwände hast.
Paß gut auf dich auf, und auch auf sie, wenn du kannst.
Sei ganz fest umarmt.
Omi
»Wann hast du den bekommen?«
»Ein paar Tage, bevor... bevor sie gestorben ist. An dem Tag, als Philou mir vom Verkauf der Wohnung erzählt hat. Sie... Sie hat halt verstanden, daß... daß das alles Mist war.«

Ufff! Das zerrte heftig am Würgeband.
Zum Glück kam ein Kellner:
»Monsieur?«
»Ein Perrier Zitrone, bitte.«
»Und Mademoiselle?«
»Cognac. Einen doppelten.«

»Sie spricht vom Garten, nicht vom Haus.«
»Jaaa. Aber, wir werden doch jetzt nicht feilschen, oder?«

»Und du gehst weg?«
»Das hab ich doch gerade gesagt. Meine Fahrkarte hab ich schon.«
»Wann fährst du?«
»Morgen abend.«

»Pardon?«
»Ich dachte, du hättest die Schnauze voll davon, für andere zu arbeiten.«
»Natürlich hab ich die Schnauze voll davon, aber was soll ich denn machen?«

Camille kramte in ihrer Tasche und holte ihr Heft heraus.
»Nee, nee, das ist vorbei«, wehrte er ab und hielt die Arme vors Gesicht. »Ich bin nicht mehr da, hab ich gesagt.«
Sie blätterte um.
»Sieh mal«, sagte sie und hielt es ihm hin.
»Was ist das für eine Liste?«
»Das sind alle Stellen, die Paulette und ich ausfindig gemacht haben auf unseren Spaziergängen.«
»Was für Stellen?«
»Leere Lokale, in denen du einen eigenen Laden aufmachen könntest. Das ist alles durchdacht, weißt du. Bevor wir die Adressen aufgeschrieben haben, sind wir es beide von vorn bis hinten durchgegangen! Die unterstrichenen sind die besten. Das hier vor allem, das wäre klasse. Ein kleiner Platz direkt hinter dem Pantheon. Ein ehemaliges Café mit viel Charme, ich bin sicher, es würde dir gefallen.«
Sie trank ihren Cognac aus.

»Du spinnst ja total. Weißt du, was das kostet, ein Restaurant aufzumachen?«
»Nein.«
»Du spinnst ja total. Na gut. Ich muß los, meine Sachen zusammenpacken. Ich bin heut abend bei Philou und Suzy zum Abendessen, kommst du auch?«
Sie hielt ihn am Arm fest, um ihn am Aufstehen zu hindern.
»Ich habe Geld.«
»Du? Du lebst doch wie eine Bettlerin!«
»Ja, weil ich es nicht anrühren will. Ich will die Flocken nicht, aber dir würde ich sie gern geben.«
»...«
»Weißt du noch, ich habe dir doch erzählt, daß mein Vater bei einer Versicherung war und daß er bei einem... einem Arbeitsunfall gestorben ist, weißt du noch?«
»Ja.«
»Na ja, er hatte alles im voraus geregelt. Er wußte ja, daß er mich verlassen würde, deshalb hat er wenigstens dafür gesorgt, mich abzusichern.«
»Das versteh ich nicht.«
»Eine Lebensversicherung. Auf meinen Namen.«
»Und warum... warum hast du dir dann nie ein Paar anständige Treter gekauft?«
»Sage ich doch, weil ich das Geld nicht will. Es riecht nach Aas. Ich wollte meinen Papa lebend. Nicht das hier.«
»Wieviel?«
»Genug, damit dich ein Banker hofiert und dir einen guten Kredit anbietet, würde ich sagen.«
Sie hatte ihr Heft wieder aufgenommen.
»Warte, ich glaube, ich habe es irgendwo gemalt.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 19.01.2006