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Des weiteren waren anwesend die Eltern der Braut sowie ihr bester Freund, ein großer Kerl mit gelben Haaren, der kaum weniger auffiel als sie.

Philibert trug einen herrlichen Anzug aus weißem Leinen sowie ein rosa Einstecktuch mit grünen Punkten.
Suzy trug einen herrlichen rosa Minirock mit grünen Punkten und einer Turnüre sowie eine Schleppe von mindestens zwei Metern Länge. »Mein Traum!« wiederholte sie immer wieder lachend.
Sie lachte immerzu.
Franck trug den gleichen Anzug wie Philibert, nur karamelfarben. Paulette trug einen von Camille konfektionierten Hut, eine Art Nest mit Vögeln und Federn überall, und Camille trug eins der weißen Smokinghemden von Philiberts Großvater, das ihr bis zu den Knien reichte. Sie hatte sich eine Krawatte um die Taille gebunden und weihte ein Paar hübsche rote Sandalen ein. Es war das erste Mal, daß sie einen Rock trug, seit... Pff... noch länger.


Anschließend zog die feine Gesellschaft zum Picknick in den Park von Buttes-Chaumont. Im Gepäck der große Korb der Durbellière als Caterer und ein paar kleinere Tricks, um von den Parkhütern nicht entdeckt zu werden.

Philibert zog mit einem Hunderttausendstel seiner Bücher in die Zweizimmerwohnung seiner Gattin, die nicht eine Sekunde erwogen hatte, ihr geliebtes Viertel zu verlassen, um sich auf der anderen Seite der Seine einem Begräbnis erster Klasse zu unterziehen.
Das zeigte, wie egal ihr seine Herkunft war, und es zeigte, wie sehr er sie liebte.

Er hatte dennoch sein Zimmer behalten, und dort schliefen sie, wann immer sie zum Abendessen kamen. Philibert nutzte die Gelegenheit, um Bücher zurückzubringen und neue mitzunehmen, und Camille nutzte die Gelegenheit, um weiter an Suzys Porträt zu arbeiten.
Sie hatte noch nicht das richtige Gespür für sie. Noch eine, die sich nicht einfangen ließ. Berufsrisiko eben.

Philibert stotterte nicht mehr, stellte jedoch das Atmen ein, sobald sie aus seinem punctum remotum verschwand.
Und wenn sich Camille über die Geschwindigkeit wunderte, mit der sie sich gebunden hatten, sahen sie sie seltsam an. Worauf denn warten? Warum Zeit verlieren in ihrem Glück? Total bescheuert, was du da sagst.
Sie schüttelte den Kopf, skeptisch und gerührt, während Franck sie verstohlen betrachtete.

Laß gut sein, das verstehst du nicht. Das verstehst du nicht. Du bist total verklemmt. Nur deine Bilder sind schön. Im Innern bist du völlig verkrampft. Wenn ich daran denke, daß ich geglaubt habe, du wärst lebendig. Ich dachte, du wärst gekommen, um mich zu lieben, dabei warst du nur ausgehungert. Wie dumm ich war, also wirklich.
Weißt du, was du brauchst? Du brauchst jemanden, der dir den Kopf ausschabt, so wie man ein Huhn ausnimmt. Der muß ganz schön was draufhaben, der Typ, der es schafft, dich auseinanderzunehmen. Nicht gesagt, daß es ihn überhaupt gibt. Philou sagt, daß du deshalb so gut malst, weil du so bist, tja, dann ist das ein verdammt hoher Preis.

»Na, Franck?« rüttelte Philibert ihn auf, »du hängst wohl gerade in den Seilen.«
»Müde.«
»Komm schon. Bald hast du Urlaub.«
»Pff. Ich muß noch den ganzen Juli überstehen. Ach ja, ich geh schlafen, ich muß morgen früh raus: Ich muß die Damen ins Grüne ausführen.«

Sommer auf dem Land. Die Idee stammte von Camille, aber Paulette hatte nichts dagegen. War nicht sonderlich enthusiastisch, die Gute. Aber dafür. Sie war bei allem dafür unter der Bedingung, daß man sie zu nichts zwang.

Als sie ihm den Plan verkündete, begann Franck allmählich, sich damit abzufinden.

Sie konnte weit weg von ihm leben. Sie war nicht verliebt und würde es niemals sein. Sie hatte ihn überdies gewarnt: »Danke, Franck. Ich auch nicht.« Der Rest war sein Problem, wenn er sich für stärker hielt als sie und für stärker als die ganze Welt. Nix da, Junge, du bist nicht der Stärkste. Oh nein. Dabei habe ich es dir oft genug eingetrichtert. Aber du bist ja so ein Dickschädel, so ein Angeber.

Du warst noch nicht auf der Welt, da war dein Leben schon ein Haufen Weshalb sollte sich das ändern? Was hast du denn gedacht? Nur, weil du sie von ganzem Herzen flachgelegt hast und lieb zu ihr warst, würde dir das Glück gebraten in den Mund fliegen? Pff. Armselig. Sieh sie dir an, deine Spielchen. Wohin sollten sie dich führen, was meinst du? Wohin wolltest du? Mal ehrlich.

Sie trug ihre Tasche und Paulettes Koffer in die Diele und ging zu ihm in die Küche.
»Ich hab Durst.«
»...«
»Schmollst du? Ärgert es dich, daß wir verreisen?«
»Überhaupt nicht! Ich werd hier meinen Spaß haben.«
Sie stand auf und nahm seine Hand:
»Los, komm schon.«
»Wohin?«
»Ins Bett.«
»Mit dir?«
»Na klar!«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Keine Lust. Du bist nur zärtlich, wenn du genug getankt hast. Du spielst ein falsches Spiel mit mir, darauf hab ich keinen Bock mehr.«
»Gut.«
»Du sagst nicht hü und nicht hott. Das ist eine fiese Tour.«
»...«
»Echt fies.«
»Aber ich fühle mich wohl bei dir.«
»ÝAber ich fühle mich wohl bei dirÜ«, äffte er sie nach. »Mir ist scheißegal, ob du dich bei mir wohl fühlst. Ich will nur, daß du mit mir zusammen bist, fertig. Den Rest... Deine Spielchen, deine künstlerischen Allüren, die kleinen Vereinbarungen zwischen deinem Hintern und deinem Gewissen kannst du dir für einen anderen Deppen aufheben. Dieser hier hat alles gegeben. Mehr holst du aus ihm nicht raus, die Geschichte kannst du vergessen, Prinzessin.«
»Du hast dich verliebt, stimmtÕs?«
»Du kannst mich mal, Camille! StimmtÕs? Du tust ja so, als wär ich unheilbar krank! Scheiße, ein bißchen Taktgefühl, bitte, ja? Ein bißchen Anstand! Das hier hab ich trotz allem nicht verdient! Daß du dich jetzt verdrückst, wird mir guttun. Warum laß ich mir auch von einer Tussi, die scharf darauf ist, zwei Monate allein mit einer Alten am Arsch der Welt rumzuhängen, auf der Nase rumtanzen? Du bist nicht normal, und wenn du nur einen Hauch von Anstand hättest, würdest du dich behandeln lassen, anstatt dich an den erstbesten Blödmann zu hängen, der deinen Weg kreuzt.«
»Paulette hat recht. Kaum zu glauben, wie unflätig du bist.«

Die Fahrt am nächsten Morgen wirkte hmm... ziemlich lang.

Er ließ ihnen das Auto da und fuhr mit seiner alten Mühle zurück.
»Kommst du nächsten Samstag?«
»Wozu?«
»Eh, um dich auszuruhen.«
»Mal sehen.«
»Und wenn ich dich darum bitte?«
»Mal sehen.«
»GibtÕs kein Küßchen?«
»Nein. Am nächsten Samstag werd ich dich vögeln, wenn ich nichts Besseres zu tun habe, aber Küßchen gibtÕs keine mehr.«
»Okay.«
Er verabschiedete sich von seiner Großmutter und verschwand am Ende der Straße.

Camille kehrte zu ihren großen Farbtöpfen zurück. Sie versuchte sich jetzt als Innenarchitektin.
Sie dachte nach, aber nein. Holte ihre Pinsel aus dem Terpentinersatz und wischte sie langsam ab. Er hatte recht: mal sehen.


Und das Leben ging weiter. Wie in Paris, nur langsamer. Und in der Sonne.


Camille machte die Bekanntschaft eines englischen Pärchens, das das Nachbarhaus herrichtete. Sie tauschten Sachen aus, Kniffe, Werkzeug und Gläser mit Gin Tonic zu einer Zeit, da sich die Mauersegler austobten.

Sie gingen ins Museum der Schönen Künste in Tours, Paulette wartete unter einer riesigen Zeder (zu viele Treppen), während Camille den Garten, die wunderschöne Frau und den Enkel des Malers ƒdouard Debat-Ponsan kennenlernte. Dieser stand nicht im Lexikon. Genausowenig wie Emmanuel Lansyer, dessen Museum in Loches sie ein paar Tage zuvor besucht hatten. Camille mochte die Maler, die nicht im Lexikon aufgeführt waren. Die kleinen Meister, wie es heißt. Die Regionalmatadore, deren bevorzugte Ausstellungsorte die Städte waren, in denen sie sich niedergelassen hatten. Der erste wird für alle Zeit der Großvater von Olivier Debré bleiben, der zweite der Schüler von Corot. Pah! Ohne den Nimbus des Genies und ohne geistige Erben, ihre Bilder konnte man beruhigter mögen. Und vielleicht auch aufrichtiger.

Camille fragte sie ständig, ob sie nicht zur Toilette müsse. Es war schon blöd, diese Sache mit der Inkontinenz, aber sie klammerte sich an die Vorstellung, sie zurückhalten zu können.(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.01.2006