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»Niemand kann erwarten, dass in der großen Koalition alles krisen- und streitfrei über die Bühne geht.«

Leitartikel
Angela Merkels guter Start

Sachlichkeit
macht sich in
Berlin breit


Von Dirk Schröder
Auch der gegenwärtige Streit über die Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik oder den Atomausstieg kann den überraschend guten Start, den die große Koalition in den ersten beiden Monaten hingelegt hat, nicht schmälern.
Der Wähler hat ein gutes Gespür. Und wenn der Wähler Angela Merkel bereits nach so kurzer Zeit eine gute Amtsführung bescheinigt, gibt er der Bundeskanzlerin auch im neuen Jahr Rückendeckung für ihren Kurs. Es ist schon erstaunlich, dass der Wähler so schnell akzeptiert hat, dass er erstmals von einer Frau regiert wird und ihr zudem noch bescheinigt, dass sie es kann.
Immerhin zeigen sich 42 Prozent mit der Arbeit des Bundeskabinetts zufrieden. Die Vorgängerregierung wurde zuletzt lediglich von 25 Prozent positiv beurteilt. In Berlin hat eine neue Sachlichkeit Einzug gehalten, mit der sich Angela Merkel wohltuend von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder abhebt.
Aber nicht nur bei den Deutschen hat die Bundeskanzlerin gepunktet, auch in Europa verschaffte sie sich schon bei ihrem ersten Auftritt im Reigen der europäischen Staats- und Regierungschefs Respekt und Anerkennung.
Es überrascht, wie gut das Unternehmen große Koalition bisher klappt. Denn da mussten sich mit der Union und der SPD zwei Parteien zusammenraufen, deren politische Auffassungen bisher doch sehr konträr waren. Da sollten Streitereien nicht überbewertet werden. Niemand kann erwarten, dass in der großen Koalition alles krisen- und streitfrei über die Bühne geht.
Rufe nach mehr Geschlossenheit wie von dem thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) kommen daher auch zu früh und vermitteln einen völlig falschen Eindruck. Das Bemühen ist nicht zu übersehen, man will handlungsfähig sein und bleiben.
Und nicht einmal Querschüsse aus Bayern trüben dieses Bild. Früher hat die CDU »gezittert«, wenn die Schwesterpartei CSU zu Jahresbeginn in Wildbad Kreuth in Klausur ging. Doch abgesehen von dem Geplänkel um Atompolitik und Kombilohn war aus Bayern in diesen Tagen von der CSU nur zu hören, man wolle das Scharnier zwischen Union und SPD sein, wolle den Brückenbauer spielen. Wie es aussieht, scheint dies im Augenblick nicht nötig zu sein.
Augenfällig waren da schon in Wildbad Kreuth die Treueschwüre für den CSU-Chef Edmund Stoiber. Dies hatte Stoiber früher nicht nötig. Der »bayerische Sonnenkönig« hat aber noch längst nicht zu alter politischer Stärke zurückgefunden. Auch das trägt dazu bei, dass die CSU in Berlin ihre frühere Durchschlagskraft noch nicht wiedererlangt hat. Denn es ist eben nicht so, dass es sich bei den Debatten über Stoiber um »ein scheinbares Phänomen aus den Herbstmonaten« gehandelt hat, das jetzt weggeblasen ist, wie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer weismachen will.
Die Zeit ist vorbei, da Stoiber Angela Merkel Knüppel zwischen die Beine werfen konnte.

Artikel vom 07.01.2006