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Es menschelt
heftig im
neuen China

»Das Badehaus« gibt Einblicke


Einfachheit ist schön. Zu viel Einfachheit ist manchmal zu schön. »Das Badehaus« erzählt eine sehr einfache Geschichte: Da Ming (Pu Cunxin), ein Vertreter des »neuen China« aus der ökonomisch aufstrebenden Region um Shenzhen, ist dabei, Karriere zu machen. Er kehrt in seine Geburtsstadt Peking zurück, weil er fälschlicherweise annimmt, sein Vater sei gestorben. Aber Master Liu (ZhuXu) scheint sich bester Gesundheit zu erfreuen - wie eh und je betreibt er ein traditionelles Badehaus und kümmert sich um seinen geistig behinderten jüngeren Sohn Er Ming (Jiang Wu), der dort im Rahmen seiner Möglichkeiten mithilft.
In einem ohnehin rückständigen Viertel ist dieses Badehaus der rückständigste Ort. Es wird fast nur noch von alten Männern und von einer Handvoll hoffnungsloser Außenseiter besucht. Da Ming würde am liebsten auf dem Absatz kehrtmachen, aber es kommt natürlich anders: Er nähert sich wieder seiner Familie an und lernt Weisheit und Menschlichkeit ihres beinahe vormodernen Lebenswandels und das Badehaus als einen Zufluchtsort mit fast utopischen Zügen kennen. Am Ende ist Da Ming ein anderer Mensch geworden.
Der Staat dagegen hat es noch nicht begriffen: Das rückständige Viertel wird komplett abgerissen, und über gewachsene Strukturen und die Bedürfnisse der vermeintlich Schwachen geht man mit technokratischer Rücksichtslosigkeit hinweg.
Regisseur Zhang Yangs Tragikomödie ist bewusst einfach gestaltet. Viele chinesische Filme, die keine staatliche Propaganda sind - also wenige chinesische Filme - werden mit ausländischem Geld für internationale Filmfestivals produziert. Für die Regisseure eine Möglichkeit, künstlerisch frei zu arbeiten, für das chinesische Publikum leider verloren, da im eigenen Land verboten.
Zhang Yang, der mit seinem Debütfilm »Spicy Love Soup« den ersten Box-Office-Hit eines chinesischen Independentfilms in China schaffte und der unabhängige Verleih Imar Film Co. wollen auf den chinesischen Markt. Sie wollen Filme für ein möglichst breites Publikum in China drehen, die keine Propaganda sind, sondern durchaus in dem Maß, in dem es die Zensur zulässt, versuchen, kritisch zu sein. »Das Badehaus« ist ein Musterbeispiel für diese Art Film und fand ironischerweise gerade beim Publikum der internationalen Festivals, für das es in erster Linie gar nicht bestimmt war, großen Anklang.
Es menschelt aber auch ziemlich heftig: Master Liu ist ein lieber Opa wie aus dem Bilderbuch. Der bekannte Topos des umsorgten Enkelkindes allerdings wird diesmal in Gestalt des geistig behinderten Sohnes Er Ming variiert. Er Ming wiederum, ganz klischeehaft, besitzt die menschliche Wärme und damit die Fähigkeit, mit seiner kindlichen Freude auch andere mitzureißen - eine Eigenschaft, die seinem großen Bruder, dem kühlen Verstandesmenschen, völlig abgeht.
Zu einfach, zu schön, keine Frage. Aber dieser Film ist vor allem viel zu gut, als dass einen das Erzählte erschrecken könnte, gerade weil es keinen Augenblick lang in die Nähe des Kitsches gerät. Man muss sich schon mit einer angestrengt überkritischen Haltung ins Kino setzen, will man nach dem - zugegeben nicht gerade subtilen - Auftakt des Films nicht mitgerissen werden.

Artikel vom 05.01.2006