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»Führer der calvinistischen Partei, schwört er dem Protestantismus ab, um der Bartholomäusnacht zu entgehen. 1594 läßt er sich in Chartres zum König salben und zieht in Paris ein. Durch das Edikt von Nantes 1598 stellt er den religiösen Frieden wieder her. Er war sehr beliebt. Ich erspare euch seine zahllosen Schlachten, die interessieren euch ohnehin nicht, vermute ich. Wissen muß man jedoch, daß er unter anderem von zwei berühmten Männern umgeben war: Maximilien de Béthune, Herzog von Sully, der die Finanzen des Landes sanierte, und Olivier de Serres, ein Segen für die Landwirtschaft der damaligen Zeit.«

Camille ihrerseits wollte nichts erzählen.
»Ich weiß nichts«, sagte sie, »und was ich glaube, da bin ich mir nicht sicher.«
»Erzähl uns von irgendwelchen Malern!« ermutigten sie die anderen. »Von Strömungen, Perioden, berühmten Gemälden oder auch von deinen Utensilien, wenn du willst!«
»Nein, das kann ich nicht in Worte fassen. Ich hätte außerdem Angst, was Falsches zu erzählen.«
»Welches ist deine Lieblingsepoche?«
»Die Renaissance.«
»Warum?«
»Weil. Ich weiß nicht. Alles ist schön. Überall. Alles.«
»Was alles?«
»Alles.«
»Gut«, scherzte Philibert, »danke. Knapper geht es wirklich nicht. Falls jemand mehr wissen will, darf ich darauf hinweisen, daß sich die Histoire de lÕart von ƒlie Faure hinter der Enduro-Zeitschrift von 2003 in unserem Wasserklosett befindet.«
»Und sag uns noch, wen du magst«, fügte Paulette hinzu.
»Als Maler?«
»Ja.«
»Ah. Wild durcheinander also. Rembrandt, Dürer, Da Vinci, Mantegna, Tintoretto, La Tour, Turner, Bonington, Delacroix, Gauguin, Vallotton, Corot, Bonnard, Cézanne, Chardin, Degas, Bosch, Velázquez, Goya, Lotto, Hiroshige, Piero della Francesca, Van Eyck, die beiden Holbeins, Bellini, Tiepolo, Poussin, Monet, Chu Ta, Manet, Constable, Ziem, Vuillard, äh... Furchtbar ist das, ich habe bestimmt ganz viele vergessen.«
»Und du kannst uns zu keinem dieser Typen was erzählen?«
»Nein.«
»Willkürlich ausgewählt. Bellini. Was gefällt dir an ihm?«
»Sein Porträt des Dogen Leonardo Loredan.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Da muß man nach London, in die National Gallery, wenn ich mich recht erinnere, und sich das Gemälde anschauen, um sicher zu sein, daß man. Es ist. Es ist. Nein, ich hab keine Lust, mit meinen dicken Flossen darauf rumzuplanschen.«
»Na gut«, ergaben sich die anderen, » ist schließlich nur ein Spiel. Wir wollen dich nicht zwingen.«
»Ah! Ich weiß, was ich vergessen habe!« frohlockte Franck, »den Kamm natürlich! Der kommt in die weiße Soße.«

Camille fühlte sich eindeutig zerlegt.

An einem Montagabend jedoch, im Stau kurz hinter der Mautstelle von Saint-Arnoult, als sie allesamt müde und verdrießlich waren, erklärte sie plötzlich:
»Ich habÕs!«
»Pardon?«
»Mein Wissen! Mein einziges Wissen! Und außerdem weiß ich schon seit Jahren darum!«
»Schieß los, wir sind ganz Ohr.«
»Hokusai, ein Maler, den ich phantastisch finde. Ihr wißt schon, die Woge? Und die Ansichten des Fuji? Na klaaar. Die türkise Woge mit Schaumkrone? Also er - das reinste Wunder -, wenn ihr wüßtet, was er alles gemacht hat, das ist unvorstellbar.«

»Ist das alles? ÝDas reinste Wunder!Ü Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
»Doch, doch, ich sammle mich ja gerade.«


Und im Halbdunkel dieser eintönigen Vorstadt, zwischen einem Industriezentrum links und einem Basar rechts, zwischen dem Grau der Stadt und der Aggressivität der Herde, die in den heimischen Verschlag zurückkehrte, sprach Camille langsam folgende Worte:

»Seit meinem fünften Lebensjahr war ich besessen, die Form der Dinge zu skizzieren.

Nach meinem 50. Lebensjahr machte ich eine Reihe von Grafiken, aber alles was ich vor meinem 70. Lebensjahr produzierte, ist der Rede nicht wert.

Im Alter von 72 lernte ich schließlich etwas über die wahre Natur von Vögeln, Tieren, Insekten, Fischen und die Art der Gräser und Bäume.

Deshalb werde ich im Alter von 82 wohl einige Fortschritte erzielt haben, mit 90 werde ich dann noch tiefer in die Bedeutung der Dinge eingestiegen sein, mit 100 werde ich echt gut sein und mit 110 wird jeder Punkt, jede Linie ihr eigenes Leben haben.

Ich hoffe nur, daß einige Leute so alt werden, um den Wahrheitsgehalt meiner Worte zu erkennen.«

Geschrieben im Alter von fünfundsiebzig Jahren von mir, Hokusai, dem von der Malerei besessenen Alten.

»Jeder Punkt, jede Linie wird ihr eigenes Leben haben«, wiederholte sie.

Alle hatten darin vermutlich etwas gefunden, womit sie ihr armes Gehirn füttern konnten, denn der Rest der Fahrt verlief schweigend.


7. Kapitel

Zu Ostern wurden sie ins Schloß eingeladen.
Philibert war nervös.
Er hatte Angst, ein wenig von seinem Ansehen einzubüßen.

Er siezte seine Eltern, seine Eltern siezten ihn und einander.
»Guten Tag, Vater.«
»Ah, da sind Sie ja, mein Sohn. Isabelle, unterrichten Sie bitte Ihre Mutter. Marie-Laurence, wissen Sie, wo der Whisky ist? Ich kann ihn nicht finden.«
»Beten Sie zum heiligen Antonius, mein Lieber!«
Anfangs kam es ihnen komisch vor, später achteten sie nicht mehr darauf.

Das Diner war beschwerlich. Marquis und Marquise stellten ihnen zahlreiche Fragen, warteten jedoch die Antwort nicht ab, um sich ihr Urteil zu bilden. Darüber hinaus waren es eher heikle Fragen wie:
»Und was macht Ihr Vater?«
»Er lebt nicht mehr.«
»Oh, Pardon.«
»Aber ich bitte Sie.«
»Äh. Und Ihrer?«
»Ich habe ihn nie kennengelernt.«
»Sehr schön. Ne... Nehmen Sie noch etwas Gemüse?«
»Nein, danke.«
Anhaltende Stille.

»Und Sie? Sie sind also Koch?«
»Ja.«
»Und Sie?«
Camille sah zu Philibert.
»Sie ist Künstlerin«, antwortete er an ihrer Stelle.
»Künstlerin? Wie pittoresk! Und... und Sie leben davon?«
»Ja. Das heißt... Ich... ich glaube schon.«
»Wie pittoresk. Und Sie leben im selben Haus, nicht wahr?«
»Ja. Weiter oben.«
»Weiter oben, weiter oben.«
Er durchsuchte im Geiste die Festplatte seines mondänen Telefonverzeichnisses.
»... dann sind Sie also eine kleine Roulier de Mortemart!«
Camille wurde von Panik ergriffen.
»Äh. Ich heiße Fauque.«
Sie führte alles an, was sie auf Lager hatte:
»Camille Marie ƒlisabeth Fauque.«
»Fauque? Wie pittoresk. Ich habe einmal einen Fauque gekannt. Ein rechtschaffener Mann. Charles, glaube ich. Ein Verwandter von Ihnen vielleicht?«
»Äh. Nein.«

Paulette sagte den ganzen Abend kein Wort. Mehr als vierzig Jahre lang hatte sie Menschen dieses Schlages bei Tisch bedient, und sie fühlte sich zu unwohl, um ihren Senf auf die bestickte Tischdecke zu geben.

Auch der Kaffee war beschwerlich.
Dieses Mal nahm Philou den Platz der Wurftaube ein:
»Nun, mein Sohn? Noch immer im Postkartengewerbe?«
»Noch immer, Vater.«
»Anregend, nicht wahr?«
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr.«
»Werden Sie bitte nicht ironisch. Ironie ist die Waffe der Faulpelze, das dürfte ich Ihnen häufig genug gesagt haben.«
»Ja, Vater. Die Stadt in der Wüste von Saint-Ex...«
»Pardon?«
»Saint-Exupéry.«
Der Vater schluckte die Pille.

Als sie endlich das düstere Zimmer verlassen durften, in dem alle Tiere der Region ausgestopft über ihren Köpfen hingen, selbst ein Rehkitz, verflucht noch mal, selbst Bambi, trug Franck Paulette in ihr Zimmer. »Wie eine Braut«, flüsterte er ihr ins Ohr und schüttelte traurig den Kopf, als ihm klar wurde, daß er tausend Milliarden Kilometer entfernt von seinen Prinzessinnen schlafen würde, zwei Stockwerke höher.

Er hatte sich umgedreht und befühlte eine geflochtene Wildschweinpfote, während Camille sie entkleidete.
»Ich glaub das einfach nicht. Ist euch aufgefallen, wie schlecht das Essen war? Was soll das? Das Zeug war ungenießbar! Ich würde es nie wagen, meinen Gästen so was vorzusetzen! Da macht man lieber ein Omelett oder Nudeln!«
»Sie haben vielleicht nicht die nötigen Mittel?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 10.01.2006