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Jugendliche genießen »Konsumrausch«

Jeder Vierte beschafft sich mit Nebenjob das nötige Geld für Kleidung und Musik

Von Dietmar Kemper und
Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). »Der Konsumrausch wird weitergehen«, sagt die Leiterin des Instituts für Jugendforschung (IJF) in München, Karin R. Fries, voraus. Anstatt Verzicht zu üben wie die von der Wirtschaftskrise verunsicherten Eltern, »geben Jugendliche nach wie vor gern Geld aus, denn Existenzängste plagen sie nicht«. Nach Angaben des Instituts verfügten die 13- bis 17-Jährigen im abgelaufenen Jahr über Einnahmen von 5,1 Milliarden Euro.
Sabine Möller aus Bielefeld liebt schicke Kleidung. Regelmäßig stöbert die 16-Jährige bei Karstadt und in anderen Kaufhäusern. Wie viele ihrer Altersgenossen setzt sie auf Qualität und kauft lieber ein teures Teil als zwei billige Shirts, deren Farben schnell verblassen.

Das Geld stammt aus vier Quellen: Taschengeld, Geldgeschenke sowie Nebentätigkeiten und regelmäßiges Gehalt. Jeden Monat kassieren die Teenager aus der untersuchten Zielgruppe statistisch 92 Euro, von denen nach Abzug aller laufenden, festen Kosten wie Miete, Telefon und Versicherungsbeiträgen 76 Euro zur freien Verfügung bleiben. Drei Viertel der Jugendlichen besitzen ein Sparguthaben, das im Durchschnitt mit 1270 Euro gefüllt ist.
Zur Freude des Einzelhandels verfüge die Jugend über »ordentlich viel Geld«, bewertet Karin R. Fries die Ergebnisse der Studie »Die Finanzkraft der 13- bis 17-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland 2005«. Um die hohe Ausgabenbereitschaft aufrechterhalten zu können, seien Jugendliche zunehmend bereit, in der Freizeit zu arbeiten. Jeder Vierte habe inzwischen einen Nebenjob wie Babysitten, Rasen mähen oder Zeitungen austragen - vor drei Jahren war es nur jeder Fünfte.
»In die Stadt zu gehen, gilt bei Jungen und Mädchen als tolle Freizeitbeschäftigung, weil sie dann sehen, was man alles machen kann«, sagte Fries gestern dieser Zeitung. Bereitwillig zücken die Jugendlichen Euro-Scheine für Kleidung, (Turn-)Schuhe, Musik, Kino und Konzerte. Bereits für mehr als 80 Prozent der 14-Jährigen sind Investitionen in Computer, Internet, Handy und Spielkonsole selbstverständlich. Das Budget für Medien stieg in der lukrativen Zielgruppe bereits 2004 auf mehr als eine halbe Milliarde Euro an.
Jugendliche zeichnet ein hohes Markenbewusstsein aus, vor allem bei Jeans, Taschen und Rucksäcken, Schokolade und Getränken. »Mit der Kleidung stellen sie sich selber dar, über die Turnschuhmarke transportieren sie Lifestyle«, erläutert Karin R. Fries vom Institut für Jugendforschung.
Da passt es ins Bild, dass die Firma K-Swiss aus Kalifornien auf »sprechende Schuhe«, die Stripe Shifter, setzt. Die fünf Streifen an der Seite der Turnschuhe können ohne großen Aufwand farblich und in der Höhe verändert werden. Inzwischen hätten die Jugendlichen damit einen neuen Sprach-Code entwickelt, indem sie jeder Kombination aus Farbe und Höhe eine bestimmte Aussage wie »Ich bin verliebt« oder »Willst du mit mir spielen?« zuordnen, berichtete das erfolgreiche Unternehmen gestern.
Schuhe von K-Swiss, Adidas oder Nike sind ein gutes Beispiel für das Bedürfnis vieler Jugendlicher, ihre Persönlichkeit durch Akzente im Äußeren auszudrücken. In altersgerechter Ansprache der Heranwachsenden sieht Fries die große Chance für Unternehmen. Viele Firmen hätten die Notwendigkeit erkannt und schalteten Werbeagenturen ein, die mit Denken und Lebenswelt der Jungen und Mädchen vertraut sind.
Wenn ein Jugendlicher durchs Kaufhaus schlendert, »muss er sich wie unter Gleichgesinnten fühlen«, sagte der Geschäftsführer von Karstadt in Bielefeld, Thomas Kunz, gestern dieser Zeitung. Die Mitarbeiter in der Musik-Abteilung müssten zum einen fachlich versiert sein, sich also »in der Szene auskennen« und sollten zum anderen möglichst nicht viel älter als ihre Kunden sein. Ansonsten würden sie von den Jugendlichen nicht akzeptiert. Wenig zweckmäßig sei es darüber hinaus, die Spielwarenabteilung neben der Kinderkonfektion anzusiedeln. »Jugendliche wollen nicht mehr Kinder sein«, warnt Kunz vor einer abschreckenden Wirkung. Geschäftsleute, die solche Fehler umgehen, dürfen sich auf eine konsumfreudige Zielgruppe freuen.
Zu der gehören auch längst die Kinder. Die Heranwachsenden im Alter von sechs bis 17 Jahren haben eine Kaufkraft von mehr als zehn Milliarden Euro. »Das sind die Kunden der Zukunft«, weiß Thomas Kunz von Karstadt und spekuliert auf deren Geld.

Artikel vom 04.01.2006