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Kulturkampf oder
friedvolle Toleranz

Tagung zum euro-islamischen Dialog

Bielefeld (WB). Unter der Leitung des Bielefelder Germanisten Klaus-Michael Bogdal findet von Donnerstag bis Samstag, 12. bis 14. Januar, eine internationale Tagung zum Thema »Orient-Diskurse in der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart« statt. Die Teilnehmer tagen im Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) der Universität Bielefeld.

Das aktuelle Verhältnis zum Islam ist von Angst und Misstrauen geprägt: Angst vor gewalttätigen islamistischen Gruppen und Misstrauen gegenüber der fremden Religion. In dieser Situation ist ein Dialog schwierig, aber unverzichtbar. Er setzt jedoch gegenseitige Achtung und Kenntnisse voraus.
In der deutschen Literatur existiert seit einigen Jahrhunderten eine produktive Form der Auseinandersetzung mit den Kulturen des Orients, die von großem Respekt vor deren Leistungen geprägt ist. Es ist der Islamismus, der nicht nur den Dialog und den Austausch angreift, sondern auch die eigenen Kulturen, die sich - wie überall - dynamisch zu lebensweltlicher Vielfalt entwickelt haben. Deshalb sind Schriftsteller und Künstler in islamischen Ländern häufig heftigen Angriffen ausgesetzt, auch in weltlich regierten Staaten wie Ägypten, Algerien und Syrien.
Die Bielefelder Tagung setzt konsequent auf den Dialog der Kulturen. Er wird von Literaturforschern getragen, die die andere Kultur eben nicht geringschätzen, sondern im Gegenteil genau um ihre jeweilige Bedeutung wissen. Wer das Fremde verstehen will, muss es zuvor erfahren haben. »Zwischen Europa und der arabischen Welt gibt es eine gemeinsame Geschichte. Schon in vorislamischer Zeit wurde über beide Ufer des Mittelmeers hinweg ein Dialog geführt«, sagt einer der berühmtesten Intellektuellen des arabischen Raums, der Lyriker Adonis.
Das Orientbild in der deutschen Literatur unterscheidet sich deutlich von dem, welches sich unter den Bedingungen kolonialer Herrschaft in der englischen und französischen Literatur herausbildete. Für letztes hat der Palästinenser Edward W. Said, der bis zu seinem Tod in New York Literaturwissenschaft lehrte, den Begriff »Orientalismus« geprägt. Die deutsche Literatur schwankt zwischen Abwehr und Faszination. In den Türkenkriegen verfestigen sich die Feindbilder vom grausamen »Muselmanen«.
Aber bereits im 17. und 18. Jahrhundert wächst das positive Interesse an orientalischer Literatur und Philosophie und übt Einfluss auf die deutsche Literatur aus. Ein erster Höhepunkt ist neben Wilhelm Hauffs Märchen sicherlich Goethes »West-östlicher Divan«. In der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts findet sich beides: ein Bild vom Orients, das den Kampf der Kulturen und Religionen nahelegt, und Entwürfe zivilisatorischer Gemeinsamkeiten.
Einen Höhepunkt der Tagung bietet die Lesung von Claudia Ott am Freitag, 13. Januar, 20 Uhr, im IBZ. Die Autorin liest aus ihrer Neuübersetzung von »Tausendundeiner Nacht«. Doch Claudia Ott liest nicht einfach: Sie weiß ihre Zuhörer mit wenigen Requisiten und ihrem Spiel in die Welt des Orients zu entführen.

Artikel vom 05.01.2006