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Der Vergangenheit auf der Spur

Von Sandra Diekmann
In einem dunklen Kellerraum stapelt sich die Geschichte der Universität Bielefeld. Unmengen von Akten reihen sich in hohen Regalen aneinander. Hier würde man wohl einen älteren Herrn vermuten, der einsam den ganzen Tag Akten sortiert. Falsch gedacht. Der 42-jährige Historiker Martin Löning passt so gar nicht in dieses Klischee -Êund auch seine Arbeit ist abwechslungsreicher, als man denkt. Seit der Gründung im Jahr 1996 hat er das Universitätsarchiv fast im Alleingang aufgebaut.

Neben dem üblichen Bearbeiten und Verzeichnen von Akten hat man als Archivar noch weit mehr zu tun. »Jubiläen zuarbeiten, Ausstellungen organisieren, selber forschen und publizieren, Kontakte zu Professoren pflegen, Anfragen beantworten, mit den Historikern, dem Asta und der Stadt Bielefeld zusammenarbeiten, Öffentlichkeitsarbeit betreiben, die Internetseite pflegen.« So beschreibt Martin Löning selbst seinen weit reichendes Tätigkeitsfeld. Bevor er die Stelle an der Uni bekam, hatte er bereits im Bielefelder Stadtarchiv gearbeitet und wusste deshalb in etwa, was auf ihn zukommen würde.
In 13 verschiedene Bereiche gliedert sich das Universitätsarchiv. Neben Akten aus den verschiedenen Fakultäten, Einrichtungen, Verwaltungen und Kommisionen findet man ebenfalls viele Zeugnisse aus der Gründungszeit der Universität oder Nachlässe von bedeutenden Professoren.
Auch sämtliche Tonbänder, Filme, Fotos, Interviews, Zeitungsausschnitte und Flugblätter aus der gesamten Unigeschichte sind in einer eigenen Abteilung zusammengefasst. Flugblätter, wie sie auch heute noch auf den Mensatischen ausliegen, machen den Wandel der Studentenschaft besonders deutlich. »Früher waren die Studenten viel politischer«, stellt Löning fest und deutet auf ein Flugblatt des marxistisch-leninistischen Kampfbundes, einer Studentengruppe aus den Anfangsjahren der Uni. »Auf den aktuellen Flyern wird hingegen hauptsächlich nur noch für Partys geworben«, fügt er lächelnd hinzu.
Ins Leben gerufen wurde das Archiv von dem ehemaligen Uni-Kanzler Dr. Eberhard Firnhaber im Jahr 1996. Die Hauptidee war vor allem, dass die historische Entwicklung der Universität nicht in Vergessenheit geraten sollte. Besonders das außergewöhnliche Gründungskonzept und dessen Umsetzung sollten lückenlos dokumentiert werden.
1965 hatte der bedeutende Soziologe Helmut Schelsky vom nordrhein-westfälischen Kultusminister den Auftrag erhalten, im Raum Ostwestfalen eine moderne Universität auf den Weg zu bringen. Er plante eine kleine Reformuniversität für etwa 3600 Studenten, die sich durch einen Schwerpunkt auf Forschung und Interdisziplinarität sowie durch die intensive Betreuung der Studierenden von verstaubten Universitätstraditionen befreien sollte. Viele junge Wissenschaftler mit einer vielverspechenden Zukunft, darunter beispielsweise der (heute sehr berühmte) Soziologe Niklas Luhmann, kamen nach Bielefeld. 1969 gingen zunächst 270 Studenten an den Start.
Dem Archiv sei Dank, lässt sich nun anhand zahlreicher Dokumente ablesen, wie die Konzeption der Uni umgesetzt wurde und der Bau voran schritt. Nachdem die Uni ihren Betrieb aufnahm, war der Anspruch einer kleinen, familiären Uni aber schon bald nicht mehr zu wahren. Immer neue Fakultäten und Studiengänge entstanden, die immer mehr Studenten anzogen. Heute zählt man mehr als 17 000. Ihren Reformcharakter hat sich die Uni jedoch bis heute bewahrt. So war Bielefeld beispielsweise Vorreiter bei der Umstellung der Studienstruktur auf Bachelor- und Masterstudiengänge.
Mit dem Aufbau des Universitätsarchivs wurde ein Stück Bielefelder Geschichte geordnet und bewahrt. Obwohl die Aufbauphase offiziell 1999 abgeschlossen wurde, ist ein Ende längst noch nicht in Sicht. Viele Akten warten noch darauf, bearbeitet und archiviert zu werden, und ständig kommt neues Material hinzu. Die Kapazitäten der aktuellen Räumlichkeiten werden bald nicht mehr ausreichen. Außerdem blickt Martin Löning mit leichten Bedenken an die feuchte Decke des Archivs: »Das Wasser, das irgendwo im Gebäude eintritt, sucht sich seinen Weg und kommt hier im Keller wieder zum Vorschein.« Für die Aufbewahrung von Dokumenten ist das alles andere als ideal. Die wichtigsten Stücke befinden sich deshalb in einem kleinen Büro im ersten Stock. Martin Löning hofft, dass im Zuge der geplanten Mensarenovierung endlich ein geeigneter Ort für das Archiv gefunden wird.

Artikel vom 10.01.2006