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Die Hoffnung
der Helfer
stirbt zuletzt

Eishalle war schon lange Streitpunkt

Bad Reichenhall (WB/dpa/Reuters). »Auf so etwas kannst du dich auch mit einer Übung nicht vorbereiten«, sagt Markus Leitner, ein junger Helfer vom Bayerischen Roten Kreuz. Er war einer der ersten am Einsatzort in Bad Reichenhall und suchte auch gestern, 24 Stunden später, unter den Trümmern des Eishallendaches noch nach Vermissten.

Unterstützung bekamen die einheimischen Helfer von allen Seiten: Vom benachbarten österreichischen Roten Kreuz, von Hausärzten, einem Sanitätszug der Bundeswehr, der Bergwacht und auch vier Rettungshundestaffeln mit internationaler Erfahrung.
Obwohl sie seit der Nacht zum Dienstag nur noch Tote bergen konnten, gaben die Retter die Hoffnung nicht auf. Selbst in Gefahr und im immer noch dichten Schneetreiben suchten sie unter tonnenschweren Überresten der Dachkonstruktion und in schmutzigen Schneemassen nach Überlebenden. Der leitende Notarzt Franz Leipfinger meint nach Gesprächen mit Suchhundeführern: »Bis zu drei oder vier Tage ist es möglich, Überlebende in Hohlräumen zu finden.«
Während am Katastrophenort weiter gekämpft wird, rumort es in der Stadt. Dort wird über die Schuldfrage diskutiert: War Schlamperei im Spiel? Warum wurde die Halle nicht umgehend geschlossen, als um 15.30 Uhr das Training der Eishockey-Jugend für 16.30 Uhr abgesagt wurde? Hatte nicht jemand ein Knacken im Gebälk gehört?
Bohrende Fragen muss sich dazu vor allem Bad Reichenhalls Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier (Freie Wähler) gefallen lassen. Berichte über die angeblich undichte Dachkonstruktion sowie die Diskussion über die Sanierung der städtischen Sportanlage heizen die Gerüchteküche an. Tatsächlich ist die gut 30 Jahre alte Eislauf- und Schwimmhalle ein Politikum in der 18 000-Einwohner-Stadt, die vor allem vom Tourismus lebt. Jüngst wurde der Disput heftiger, denn im März wählen die Bürger ein neues Stadtoberhaupt.
Der amtierende Rathaus-Chef weist alle Spekulationen über Baumängel entschieden zurück. Bei den Sanierungsplänen seien nicht Sicherheitsbedenken ausschlaggebend gewesen, betont Heitmeier: »Eine Untersuchung, an der auch ein Statiker beteiligt war, hat ergeben, dass keine Sicherheitsaufwendungen nötig sind, sondern nur Schönheitsaufwendungen und die Erneuerung der technischen Ausstattung.«
Er wiederholt, was er schon am Montagabend sagte. Dass die Schneelast auf dem Dach deutlich unter dem von der Statik her Erlaubten gelegen habe. »Wir haben die Untersuchung über die Gewichte ordnungsgemäß durchgeführt.« Danach habe er sich mit Mitarbeitern beraten und beschlossen, die Halle nach dem Publikumslauf, der um 16 Uhr enden sollte, zu sperren. Es habe nach Menschenermessen keine akute Gefahr bestanden, erst am Dienstag hätte der Schnee vom Dach geräumt werden sollen. Nur Minuten haben demnach über das Leben der Opfer entschieden: Kurz vor 16 Uhr krachte das Dach auf die etwa 50 Schlittschuhläufer in der Halle nieder.
In einer Grundschule betreuen unterdessen Spezialisten von Malteser Hilfsdienst und Arbeiter-Samariter-Bund Angehörige der Opfer und leisten Erste Hilfe für die Seele. Unter vielen Feriengästen auch aus Ostwestfalen steht eine dreiköpfige Familie aus Gütersloh an der Polizeiabsperrung vor der Sporthallen-Ruine. »Ich wollte hier heute Eislaufen gehen«, sagt der 17-jährige Sohn und senkt den Kopf. Seine Eltern schweigen.

Artikel vom 04.01.2006