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Die Gesundheitskarte wird
zuerst im Museum getestet

In Paderborn lösen die Ostwestfalen elektronische Rezepte ein

Von Dietmar Kemper
Paderborn (WB). Praktischer Anschauungsunterricht in Sachen Medizin: Einzigartig in Deutschland können die Krankenversicherten in Ostwestfalen-Lippe bereits von der kommenden Woche an im Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn den Umgang mit der elektronischen Gesundheitskarte üben.

»Weit vor der Ausgabe der Karten simulieren wir das, was jeder der 80 Millionen Versicherten in Deutschland dann täglich praktizieren muss«, sagte die Kuratorin der Ausstellung »Medizin à la carte«, Dr. Christine Pieper, gestern dieser Zeitung. Die Ausstellung im Computermuseum vom 12. Januar bis 2. April solle den Menschen die Angst vor der Mikroprozessorkarte nehmen und die Sorge zerstreuen, sie würden ausgespäht und zu gläsernen Patienten gemacht.
Erstmals in Deutschland können Besucher den Patienten-Kiosk bedienen, der von der Paderborner Firma Wincor Nixdorf entwickelt wurde und in fünf bis zehn Jahren zum selbstverständlichen Instrument in Arztpraxen und Apotheken werden soll. »Mit Hilfe des Patienten-Kiosks kann der Versicherte seine medizinischen Daten einsehen«, erläuterte Pieper. Im Knappschaftskrankenhaus in Bottrop laufe zur Zeit ein Testversuch.
Das Ruhrgebiet, und hier die Städte Bochum und Essen, gehört zu den Regionen, in denen die elektronische Gesundheitskarte demnächst erprobt wird. Außerdem wird sie in Bremen, Flensburg, Heilbronn, Ingolstadt, Löbau-Zittau, Trier und Wolfsburg getestet, teilte das Bundesgesundheitsministerium gestern mit. Durch die Karte werde Qualität, Sicherheit und Transparenz der medizinischen Versorgung verbessert, glaubt Ministerin Ulla Schmidt. In der Region Flensburg werden nach Angaben der AOK Schleswig-Holstein 1100 Personen zum ersten Mal den neuen Datenträger verwenden.
Die elektronische Gesundheitskarte erfasst die Angaben der Versicherten, der 180 000 Praxen, 21 000 Apotheken, 2200 Krankenhäuser und 260 Krankenkassen und macht sie schnell verfügbar. Das ist vor allem bei Notfällen hilfreich, aber auch dann, wenn Patienten zu einem anderen Arzt wechseln. Auf der mit einem Chip ausgerüsteten Karte können unter anderem die Blutgruppe und Unverträglichkeiten mit Medikamenten registriert werden.
Christine Pieper vom Computermuseum in Paderborn erwartet, dass die Karte erst von Mitte 2007 an an die Versicherten ausgeliefert wird. Die ursprünglich für Anfang 2006 geplante Einführung sei daran gescheitert, dass die federführende Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (Gematik in Berlin) nicht rechtzeitig eine tragfähige Lösung bewerkstelligen konnte.
Die Besucher der Ausstellung erhalten gegen Pfand eine Gesundheitskarte und setzen sie an drei Stationen ein. Begleitet von der virtuellen Ratgeberin »Clara«, checken sie beim Arzt ein, bedienen in der Praxis den Chipkartenleser und tippen ihre PIN-Nummer ein. Das elektronische Rezept lösen sie in der Apotheke ein, und weil sie wissen wollen, was über sie auf der Gesundheitskarte gespeichert wurde, schauen sie im Patientenkiosk nach. Vor der Bedienung der Lesegeräte müssten die Versicherten keine Angst haben, sagte Pieper gestern: »Wenn man es einmal durchgespielt hat, ist es einfach.«
Sowohl die Karte als auch die Lesegeräte werden von der Paderborner Firma Orga Kartensysteme GmbH hergestellt. Für die Umrüstung der Praxen kämen auf die Ärzte Kosten von 2000 bis 3000 Euro sowie Betriebsausgaben von etwa 25 Euro im Monat zu, erläuterte Pieper. Der Unmut unter den Medizinern sei beträchtlich: »Kritische Ärzte behaupten, dass die elektronische Gesundheitskarte ein Projekt der Industrie ist.«

Artikel vom 04.01.2006