03.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit barockem
Klangsinn und
vitaler Frische

Antonio Vivaldi bei Kerzenschein

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Das »Neujahrskonzert bei Kerzenschein« in der Neustädter Marienkirche erfreut sich von jeher großer Beliebtheit. Doch noch nie hat die Mischung aus stimmungsvoller Atmosphäre und musikalisch hochstehender Qualität ein so großes Publikum angesprochen wie am ersten Tag des Jahres 2006.

Es dauerte eine ganze Weile, bis jeder einen der begehrten, noch zusätzlich eilig herbeigeschafften Plätze ergattert hatte, zu dessen Beschaffung Ruth M. Seiler höchstselbst wieselflink durchs Kirchenschiff huschte. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der die Kantorin bis zur letzten Minute praktisch-organisatorisch eingreift, betritt sie von jetzt auf gleich das Pult. Der fliegende Wechsel zur voll konzentrierten Musikerin und umsichtig leitenden Dirigentin allein verdient Respekt.
Am Ende zollte ein durchweg begeistertes Publikum der musikalischen Leistung, die hier mit einem ausschließlich der Kirchenmusik Antonio Vivaldis gewidmetem Programm erzielt wurde, höchste Anerkennung.
Für den musikalischen Genuss standen in bewährter Weise die Marienkantorei sowie die Camerata St. Mariae mit Mitgliedern der Bielefelder Philharmoniker bereit, die es in puncto Flexibilität der Kantorin wenig später gleichtaten und den fliegenden Wechsel vom Kirchenpodium zur Bühne der Oetkerhalle und damit dem Neujahrskonzert des städtischen Orchesters (siehe nebenstehenden Bericht) vollzogen.
Mit Vivaldis »Magnificat in g-Moll RV 610« eröffneten Chor, Orchester und profunde Solisten glanzvoll. Stilistisch konzertant ausgerichtet, überzeugte die Werkwiedergabe durch ihre differenzierten Tempi, die in weiten bewegten Teilen vitale Frische atmeten, sowie durch den geschmeidig, klanglich ausgewogen und selbst in den melismenreichen Passagen artikulationsrein agierenden Chor. Auf instrumentaler Seite kennzeichneten barocke Klangsinnlichkeit und erfrischendes Affetto das Spiel.
Konnten die Solisten im Magnificat sowie dem folgenden »Confitebor in C-Dur RV 569« ihre stimmlichen Qualitäten in einer harmonischen Ensembleleistung hervorheben, so bot das groß angelegte »Gloria« mit schmuckvoller Alt-Introduktion (Petra von Laer mit warmer geschmeidiger Ausdeutung) auch solistisch Gelegenheit zum Glänzen - zum Beispiel Melanie Kreuter (Sopran) im mit inniger Inbrunst vorgetragenem »Quoniam tu solus sanctus« und Niels Kruse (Tenor) im ausdrucksstarken »Domine Deus«-Teil.
Ohne Einzelarie, jedoch in den Einschüben des »Confitebor« stimmlich präsent, fügte sich der warm-füllige Bass von Tobias Scharfenberger vorzüglich ins Gesamtbild ein.

Artikel vom 03.01.2006