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Kreml-Chef bereitet Russlands
Rückkehr auf die Weltbühne vor

Wirtschaftliche Fortschritte enorm - Sorge um demokratische Entwicklung

Von Dirk Schröder
Moskau/Bielefeld (WB). Russland und die Ukraine haben ihren Gasstreit beendet - der russische Staatspräsident Wladimir Putin hat wohl erkannt, dass er zu schnell vorgeprescht ist, der Schaden größer ist als der Nutzen, wenn er bei dieser Politik nicht zunächst auf die Bremse tritt. Europa ist aufgeschreckt. Putin fürchtet um seine Glaubwürdigkeit.
Elmar Broks Fazit: »ein kritisches Gesamtbild.«
Niemand wird dem Staatsunternehmen Gasprom das Recht absprechen, das Gas zu Weltmarktpreisen zu verkaufen, doch mit der Forderung nach einer Verfünffachung des Gaspreises hat Putin eine ganz andere Strategie verfolgt. Zum einen wollte Putin damit die Schmach tilgen, die er im vergangenen Jahr im Zuge der »orangenen Revolution« in der Ukraine erlitten hat und gleichzeitig die pro-russischen Kräfte im Nachbarland im Vorfeld der ukrainischen Parlamentswahlen im März stärken.
Zum anderen aber hat der »Gaskrieg« mit der Ukraine gezeigt, dass Putin Russland nach den Jahren, in denen das Land auf der Weltbühne eine zweit- und drittrangige Rolle gespielt hat, wieder als Weltmacht positionieren will. Dabei ist ihm (fast) jedes Mittel Recht ist.
»Hier wird die Energie als politische Waffe eingesetzt«, mahnt denn auch der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, der Bielefelder CDU-Abgeordnete Elmar Brok.
Brok, der erst kürzlich politische Gespräche in Moskau geführt hat, befürchtet, dass Putin die Energieabhängigkeit vieler europäischer Länder von Russland irgendwann auch zum Instrument seiner Politik macht. Die Ukraine war da ein Vorgeschmack.
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint auch die geplante Ostsee-Pipeline in einem ganz anderen Licht. Die 1200 Kilometer lange Gasleitung soll in fünf Jahren fertig sein und etwa vier Milliarden Euro kosten. Die Pipeline wird dann von Wyborg bei St. Petersburg über den Grund der Ostsee bis nach Greifswald verlaufen. Zunächst wird ein Leitungsstrang mit einer Kapazität von jährlich 27,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas in Betrieb genommen. Später soll eine zweite, gleichgroße Leitung hinzukommen. Die Pipeline wird damit mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Gasverbrauchs decken können.
Brok hat bei seinem Besuch festgestellt, dass Russland wirtschaftlich eine positive Entwicklung nimmt, die Veränderungen seien in den Städten und Dörfern deutlich zu sehen. Dieser sich selbsttragende Aufschwung bringe dem Land Stabilität, Unmut in der Bevölkerung, die zu einem großen Teil noch am Existenzminimum lebt, sei eher selten.
Sorgen bereiteten aber die unübersehbaren Verzögerungen bei der demokratischen Entwicklung, die Einschränkung der Freiheit der Medien, die wieder zunehmende Verletzung der Menschenrechte, der Anstieg der Korruption. Und nicht zuletzt die Rückschritte auf dem Weg zur freien Marktwirtschaft, hier vor allem auch im Energiebereich.
Ungeachtet der Kritik aus Brüssel hat Russland das umstrittene Gesetz über eine verschärfte Kontrolle regierungsunabhängiger Organisationen in Kraft gesetzt. Das Gesetz soll verhindern, dass gesellschaftliche Organisationen in Russland einen Machtwechsel wie in der Ukraine oder Georgien vorbereiten. Außerdem soll es die Finanzierung von Terrorismus und Extremismus von außen und die Einmischung in innere Angelegenheiten verhindern.
Verboten sei jede Tätigkeit, die »die Souveränität, politische Unabhängigkeit, territoriale Integrität, nationale Einheit und Eigenart, das Kulturerbe und die nationalen Interessen Russlands« bedroht. Das lässt den Regierenden viel Spielraum. Und die Bürgerrechtler befürchten wohl nicht zu unrecht, dass die vorgesehenen Kontrollmechanismen ihre Arbeit gänzlich unmöglich machen. Ähnlich sieht es auch Brok: »Das ist ein kritisches Gesamtbild.«
Eine spannende Frage ist für den Europapolitiker zudem das Verhältnis Moskaus zu Teheran. Russland sage zwar ja, wenn es von den Europäern aufgerufen werde, an einem Strang zu ziehen, doch mit seinem Verhalten stärke es den Iran. So hat Moskau dem Iran Flugabwehrraketen geliefert, mit denen Atomanlagen geschützt werden können. Brok: »Sie wecken damit bei den Iranern ein falsches Sicherheitsgefühl.«
Brok wies zudem darauf hin, dass aus der Ukraine 17 Cruise Missiles mit einer Reichweite von 3000 Kilometern verschwunden und über Russland in den Iran gelangt seien. »Hier wird ein Szenario aufgebaut, dass nicht nur eine Bedrohung für Israel bedeutet«, befürchtet der Europaparlamentarier eine gewaltige Krise, die auch auf Europa zurollen werde. Eine Schlüsselrolle spiele dabei Russland und auch hier das gleiche Motiv wie in der Energiepolitik: Über diesen Weg will das Land zurück zur Weltmacht.

Artikel vom 05.01.2006