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frei nach dem Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins

»Viele Räder
stehen still,
wenn sein starker
Arm es will.«

Leitartikel

Deutschlands Gas-Vorräte

Das Brett ist
wirklich ziemlich dünn


Von Rolf Dressler
Eigentlich hätte sich das energiehungrige Industrieland mit dem Kennzeichen »D« mitsamt seiner produzierenden Wirtschaft und uns Energienutzern und -verbrauchern so gern auf der sicheren Versorgungsseite gesehen. Doch schon Stunden nach des Kremls rüder Gashahn-zu-Strafaktion gegen die Ukraine brach das Kartenhaus trügerischer Hoffnung auch westwärts in sich zusammen.
Halbe Sachen macht ein Wladimir Putin nicht. Wenn er hinlangt, dann richtig. Natürlich legt er den Gas-Sperrhebel nicht höchstpersönlich auf »Rot« um. Das besorgen seine Getreuen in der Schaltzentrale der halb- staatlich straff gelenkten Gasprom, des größten Erdgasförderers und -lieferanten der Welt. Und - siehe da - buch- stäblich über Nacht haben nun bereits Österreich, Ungarn, Rumänien, Polen, Frankreich und massiv auch Deutschland den Salat: Schon binnen weniger Stunden verringerten sich gestern die jeweils vertraglich fest vereinbarten Bezugsmengen des »Russen-Gases« um sage und schreibe 25, 30 und mehr Prozent.
Das kann noch sehr heiter wer- den. Prompt verstummten jene Beschwichtiger-Stimmen, die eben noch darauf verwiesen hatten, dass Deutschland über Erdgas-Vorräte verfüge, die für mindestens 75 Tage Versorgungssicherheit gewährleisteten. 75 Tage aber könnten wie im Fluge vergehen, sollte Putin sein Mütchen an den Ukrainern bis zur Neige küh- len und die Gas-Krise auf die Spit- ze treiben wollen.
Zuzutrauen ist dies dem kampfeslustigen Kreml-Mächtigen allemal. Seine gründlichen Erfahrungen beim russischen Geheimdienst haben ihn auch für derlei Kraftproben gestählt. Hinter der smarten Fassade, die Putin medienwirksam zur Schau trägt, verbirgt sich ein mit allen Wassern gewaschener Polit-Fuchs.
Immerhin mehren sich seit dem letzten Herbst gerade auch im westlichen Europa kritische Stimmen, die dem fast unumschränkten Herrscher an der Spitze des neuen, alten Russlands mit Argwohn begegnen. Ungeniert hält der Präsident die Justiz zu gnadenloser Paragraphen-Strenge an - fast wie zu dunklen Sowjet-Zeiten.
Richter und Gerichte werden benutzt, um politische Oppositionelle, Anwälte, Wissenschaftler und andere erklärte Gegner des Kreml-Regimes und des »Systems Putin« zu knebeln oder gar in die sibirische Verbannung zu werfen.
Unliebsame in- und ausländi- sche Rundfunksender werden von Putins langem Arm mundtot gemacht. Kurz und schlecht: Die ungemütliche russische Tradition der Rechtsbeugung kehrt schleichend zurück.
Daran gemessen dürfte Putin die Mahnungen vor allem auch des europäischen Auslands in Richtung Moskau sehr gelassen als laues Lüftchen verbuchen. Wenn nicht alles täuscht, wird er seinen »Stiefel« in der Gas-Sache bis auf weiteres durchziehen.
Derweil klammert sich Deutschland an seine 75-Tage-Gas-Vorräte. Ein ziemlich dünnes Brett.

Artikel vom 03.01.2006