02.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Glückliches Ende der Chrobog-Entführung

Diplomatenfamilie will »bald wieder in den Jemen reisen«

Sanaa/Berlin (dpa). Es sollte eine märchenhafte Weihnachtsreise in das Land von Myrre und Weihrauch sein - für die Familie Chrobog wurde es ein Schreckenstrip in die Gewalt von jemenitischen Stammeskämpfern, die sie drei Tage und drei Nächte festhielten.

Als die Entführung nach bangen 72 Stunden und zähen Verhandlungen am Silvestertag zu Ende ging, war allen Beteiligten die Erleichterung ins Gesicht geschrieben: dem ehemaligen Außen-Staatssekretär Jürgen Chrobog, seiner Frau Magda und den drei Söhnen, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, aber auch den Mitgliedern der jemenitischen Regierung, die sich intensiv für die Freilassung der Diplomatenfamilie eingesetzt hatte.
Chrobog und seine Familie schienen die drei Tage Geiselhaft im öden Bergland von Schabwa weitgehend unbeschadet überstanden zu haben. »Ich möchte betonen, dass wir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hatten, dass unser Leben in Gefahr ist, und wir gut behandeln wurden«, erklärte Chrobog gestern. Gemeinsam hatte die Familie die Silvesternacht auf eigenen Wunsch in einem Hotel in Aden verbracht, erstmals seit drei Nächten wieder im komfortablen Bett.
Die Familie Chrobog landete kurz nach 20 Uhr in einer Maschine der Bundeswehr auf dem Flughafen Köln-Wahn. Vorwürfe, er habe mit der Jemen-Reise leichtfertig gehandelt, wies Chrobog zurück: Er würde »niemals meine Familie und mich selbst im Rahmen einer Urlaubsreise einem erhöhten Risiko aussetzen«. Die Reiseroute sei von der jemenitischen Regierung ausgesucht worden. Dabei sei ein Stammeskonflikt übersehen worden. Der Regierung in Sanaa könne er aber deshalb keinen Vorwurf machen. Die Bundesregierung hat nach Angaben von Chrobog keine Gegenleistung für die Freilassung erbracht. »Das war kein Angriff gegen Deutsche oder gegen Touristen, es ging allein um eine Stammesfehde.«
Chrobogs Frau Magda sagte nach ihrer Freilassung dem Sender N24, die Behandlung sei »hervorragend« gewesen. »Wir haben uns gut verstanden. Wir hatten Verständnis für ihre Gründe, wir hatten aber kein Verständnis dafür, dass sie Entführungen benutzten, um ihre Ziele zu erreichen.« Felix, einer der Söhne des Paares, sprach von einer »interessanten Erfahrung«. Er hoffe, bald wieder in den Jemen zu reisen.
Erleichtert war auch der Krisenstab, der drei Wochen über die Freilassung der Archäologin Susanne Osthoff aus irakischer Geiselhaft und seit Mittwoch über die von Familie Chrobog verhandelt hatte. Überraschend hatte Steinmeier am Donnerstag erklärt, die Chrobogs kämen noch vor Jahresende wieder frei. Als sich am Freitag keine Lösung abzeichnete und Steinmeier die jemenitische Regierung um eine gewaltfreie Lösung bat, erschien die Lage bedrohlich. Die Regierung in Sanaa ließ Hubschrauber über den Aufenthaltsort der Geiseln fliegen, um Druck auf die Entführer auszuüben.
Wie fast alle Geiselnahmen der vergangenen Jahre im Jemen ging aber auch diese glimpflich aus. Wieder waren es - wie im Jemen üblich mit Maschinengewehren bewaffnete - junge Männer, die meinten, ihren »Stammesinteressen« bei der Zentralregierung im fernen Sanaa nur durch Kidnapping Gehör verschaffen zu können. Auch diesmal waren es weise Scheichs, die sie schließlich zum Einlenken überredeten.
Möglicherweise hat die Chrobog-Entführung für den Stamm der Al-Abdullah auch ihr Gutes. Denn die Scheichs haben mit der Regierung in Sanaa vereinbart, dass ein prominenter Armee-General in einer seit 1993 andauernden Blutfehde mit dem Nachbarstamm der Riad vermittelt, bei dem bereits unzählige Angehörige beider Sippen ihr Leben ließen. Ali Muhsin al-Hamar, ein Cousin von Präsident Ali Abdullah Salih, hat schon so manche Stammesstreitigkeit geschlichtet.
Einen Tag nach der Freilassung der Familie Chrobog sind in Jemen am Neujahrstag fünf italienische Urlauber verschleppt worden. Nach Angaben der jemenitischen Behörden wurden die drei Frauen der Gruppe aber bereits wenige Stunden später wieder freigelassen. Die Entführer hätten angekündigt, die zwei italienischen Männer so lange festzuhalten, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Die Geiselnehmer wollen die Freilassung inhaftierter Stammesangehöriger erzwingen. Die Italiener wurden in der Provinz Marib, 200 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Sanaa, von Mitgliedern des Al-Saidi-Stammes entführt.

Artikel vom 02.01.2006