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Feine Raritäten aus der Operetten-Schatzkammer

Strauß-Gala begeistert in der Stadthalle aufgenommen

Von Uta Jostwerner
und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Eigentlich sind sie nicht zu beneiden, die auffallend jungen Musiker und Musikerinnen des Johann Strauß-Orchesters: Von Konzertsaal zu Musikhalle durch die Lande ziehend, teilen sie das Schicksal vieler Reiseorchester. Routine stellt sich selbstverständlich ein. Gleichwohl ehrt es die Interpreten, wenn die musikalische Qualität am Silvesterabend bei der Johann Strauß-Gala darunter nicht litt.

Aus der Schatzkammer der Operettenmusik der Strauß-Familie tischte das unter der Leitung von Multitalent Herbert Prikopa stehende Orchester in der annähernd ausverkauften Stadthalle ein neues Programm auf. Es enthielt zauberhafte Raritäten des schier unerschöpflichen Repertoires aus Walzern, Polkas und Märschen und bot neben unterhaltsam Hintergründigem auch Schmeichelndes für die Augen.
Dafür sorgten sechs Paare des »Österreichischen K&K Balletts, die in stets wechselnden Kostümen ansprechenden Spitzentanz auf engstem Raum präsentierten. Dank Herbert Prikopa, der unter Beachtung der tänzerischen Anforderungen sensibel lenkte, bereitete es dem Ballett keinerlei Schwierigkeiten, den einfallsreichen Choreografien von Gelinde Dill den nötigen Schwung zu verleihen und musikalische Inhalte in anmutiger Leichtigkeit auf die Bühne zu bringen.
Nicht zu kurz kamen die Strauß-Deutungen, die mit Ausnahme der Zugaben (Auf der Jagd-Polka, An der schönen blauen Donau und obligatorischem Radetzki-Marsch) Perlen abseits des immer wieder strapazierten Repertoires zu Gehör brachten. Wer kennt schon die Operetten »Cagliostro in Wien« oder »Der lustige Krieg« von Johann Strauß Sohn? Wer hätte gedacht, dass selbiger nicht nur einen Revolutionsmarsch, sondern auch einen hit-verdächtigen Austria-Marsch komponierte, mit dem er aus dem Schatten des übermächtigen Vaters und damit Schöpfers des Radetzki-Marsches herauszutreten gedachte?
Herbert Prikopa (70) wusste in Anekdoten und mit original Wiener Schmäh immer wieder Licht ins Dunkel zu bringen wie er auch musikalisch erhellend einwirkte. Seine Interpretationen überzeugten durch eine dynamische Phrasierungskunst und eine ungemein flexible Tempogestaltung: das langsame Einschwingen der Walzer, die mitreißende Beschleunigung, das Dampfmachen in den Polkas und das stramm Vorwärtspreschende in den Märschen. Einzig die Sopranistin Claudia Fischer und der Tenor Ferdinand von Plettenberg blieben stimmlich schuldig, was sie mit beschwipster Ausdruckskraft versprachen. - ÊHerzlicher Beifall.

Artikel vom 02.01.2006