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Volksmund, immer gültig

»Wer sich auf die Welt verlasst, hat den Aal beim Schwanz gefasst.«.

Leitartikel
Verrückte Welt auch 2006

Läuft vieles
weiter
wie gehabt?


Von Rolf Dressler
Das neue Jahr ist gerade erst ein paar Stunden jung, und schon gibt es uns die alte Gewissheit: Die Welt ist und bleibt verrückt und unberechenbar vor allem auch deshalb, weil der Mensch in ihr unterwegs ist.
Mit aufreizendem Gleichmut erklären etwa Frankreichs Sicherheitsbehörden das Brandschatzen und Abfackeln von Autos auf den Straßen »sozialer Problemviertel« für angeblich normales Kriminalstatistik-Geschäft, selbst wenn, wie nun auch wieder in der Neu- jahrsnacht, 400 oder mehr Pkw dabei in Flammen aufgehen.
Eben noch rätselte die Öffentlichkeit über das höchst dubiose Geiseldrama im Irak um die aus Deutschland gebürtige Archäologin Susanne Osthoff und deren Freikommen bzw. Freikauf. Da lässt der mit seiner Familie gerade aus der Geiselhaft jeminitischer Stammesfürsten entlassene frühere Staatssekretär Jürgen Chrobog frohgemut wissen, selbstverständlich werde er schon bei nächstpassender Gelegenheit und überhaupt jederzeit wieder in den Jemen, »eine der wundervollsten Regionen der Erde«, reisen.
Es bedarf keiner sonderlichen Phantasie, sich auszumalen, wie freudig eine solche Bekundung von all jenen Rucksack-, Pkw- oder Motorradtouristen aufgenommen werden wird, die sogar offenkundige Gefährdungsrisiken naiv-bedenkenlos einfach beiseiteschieben.
Solche Leute gibt es reichlich in Deutschland und anderswo. Buchstäblich um jeden Preis - im Zweifel sogar um den der eigenen Unversehrtheit, ja, des eigenen Lebens - brechen sie zu vermeintlichen Traum-Trips in jedwede Unruhegegenden unserer Erde auf, erhoffen sich den »ultimativen Kick«, den absoluten Nervenkitzel, und das möglichst auch noch zum Billigtarif.
Kaum war die Familie Chrobog wieder in Freiheit, wurden bereits die nächsten Geiselnahmen, abermals aus dem Jemen, gemeldet. Doch selbst diese Serien haben praktisch keine abschreckende Wirkung auf die meisten, oftmals abenteuerlich unverantwortlichen »Touris« vornehmlich auch aus unseren satten Wohlstandsbreiten. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und wenn's hart auf hart kommen sollte, wird Väterchen Staat sie bestimmt irgendwie aus »der Sache« herauspauken. Gegen harte Dollars oder Euros aus der Steuergeldkasse, je nachdem, in welcher Währung die Geiselnehmer es wünschen.
In eine ganz und gar haarsträubende Form von Geiselhaft indes presst seit gestern der Kreml-Machthaber Wladimir Putin gleich ein ganzes Land, die aus Moskaus Sicht widerspenstige Ukraine. Völlig losgelöst von zivilisiertem Umgang unter souveränen Staaten und Völkern übt er Rache, in- dem er den Ukrainern den »Gas- prom«-Gashahn zudreht. Das riecht förmlich nach Erpressung, findet aber im angeblich aufgeklärten 21. Jahrhundert statt.
Na, vielleicht kann ein gewisser Gerhard Schröder, Putins besonderer Männerfreund und angehender Gasprom-Aufsichtsrat, das Ding ja doch noch drehen ... ?
Verrückte Welt - auch 2006 ff.

Artikel vom 02.01.2006