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Mit dem Witz der alten Schule

»Doktor Stratmann« aus dem Ruhrgebiet schafft sich seine Fälle selbst

Von Thomas Bertz (Text und Foto)
Bielefeld (WB). Dieser Doktor schafft sich seine Fälle selbst - zumindest sorgt Ludger Stratmann, Allgemeinmediziner und Kabarettist, für Bauchschmerzen durch Lachkrämpfe. Jetzt machte der 57-jährige mit seinem Programm »Machensichmafrei, bitte« in Bielefeld Station.

Ostwestfalen: Das ist eigentlich die Heimat von Ludger Stratmann. Bis zu seinem zehnten Geburtstag hat der in Verl geborene Komiker hier gelebt, ehe seine Mutter mit den Kindern ins Ruhrgebiet nach Essen zog. Den Zungenschlag der »Ruhries« hat er sich seitdem angeeignet, ist so etwas wie die »Stimme des Reviers«. Stratmann: »Wir in Bottrop kennen zwar Dativ und Genitiv benutzen ihn aber immer nach Zufall.«
Seit zehn Jahren tingelt Stratmann, der zunächst eine Ausbildung bei der Sparkasse machte und erst nach nachgeholtem Abitur am Abendgymnasium Medizin studierte, über die Bühnen oder ist mit seinen Sendungen im WDR-Fernsehen zu sehen. Im im ausverkauften kleinen Saal der Stadthalle ist es vor allem seine Figur »Jupp«, die die Zuschauer zum Juchzen bringt. Im Wartezimmer »frühstückt« Jupp seine Themen ab, die Nachbarschaft. Einer nach dem anderen wird mit seinen Krankheiten durchgegangen. Wortverdreher wie »Osteuropapose«, »vegetarisches Nervenkostüm« oder »senil« statt sensibel - sie sind Methode. Und trotz aller übler Krankheitsgeschichten: Der schlimmste Patient ist wohl immer noch der eingebildete Kranke Jupp: »Ich habe zwei Wirbelsäulen. Eine Hals- und eine Lenden.«
Seine vielleicht stärkste Phase hat Stratmann, als er all seine Rolle verlässt und als Kabarettist die heutige Jugend aufs Korn nimmt. In kaum enden-wollenden - aber mitunter akustisch schwer verständlichen - Wortketten macht er »psycho-pathologische-Pampers-Folgen« dafür verantwortlich, dass die Jugendlichen ihre Hosen so tief tragen. Auch den Verlust des Wissens geißelte er: »Nein, Adorno ist nicht das neue Sofa von Ikea.« Für die ältere Generation gebe es da, so Stratmann lachend, nur eine Lösung: »Da ist Alzheimer keine Krankheit, sondern eine Schutzfunktion.«
Eine weitere bahnbrechende Erkenntnis hat Doktor Stratmann im Gepäck. Gemeinhin würden die Westfalen im Vergleich zu den Rheinländern dröge wirken, aber das stimme nicht. »Wir können auch schunkeln, tanzen und lachen - nur man sieht es nicht.« Nicht nur dieser Stelle strafte das Publikum den Kabarettisten, der nicht auf die schnelle Pointe setzte, sondern eher den Witz der »alten Schule« präsentierte, Lügen. Schenkel klopfen und herzerfrischendes Lachen gab es aus den vollbesetzten Reihen.

Artikel vom 31.12.2005