31.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Verkauf droht:
»Die Kirche im
Dorf lassen«

Auch Pfarrhäuser werden aufgegeben

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Aus wirtschaftlicher Not will sich die Evangelische Kirche von immer mehr ihrer 75 000 Immobilien trennen. Dies betrifft auch Kirchen, Pfarrhäuser, Gemeindezentren mit Gottesdienstraum und Gemeindehäuser mit Saal.
Die ehemalige Martinikirche in Bielefeld wird als Restaurant genutzt. Foto: Bernhard Pierel
Das hat eine Umfrage dieser Zeitung unter den vier größten der 23 Landeskirchen, Hannover, Rheinland, Bayern und Westfalen ergeben. In Nordrhein-Westfalen wurden bisher 82 Kirchen und Gemeindehäuser mit Gottesdienststätten entwidmet. Dies betraf allein im Jahr 2005 in Westfalen 15 Gottesdienststätten und die Erlöserkirche Silbach in Olsberg (Kirchenkreis Arnsberg). »Die Anträge auf Entwidmung werden in den nächsten Jahren zunehmen«, sagte die stellvertretende Sprecherin der Landeskirche, Andrea Rose, dieser Zeitung. Die wohl ungewöhnlichste Umnutzung einer Kirche gibt es in Bielefeld: Dort wurde die ehemalige Martinikirche in ein Restaurant umgebaut und am 26. November unter dem Namen »GlückundSeligkeit« eröffnet. Drei Kirchen seien abgerissen worden, sagte Rose.
Bei der Evangelischen Kirche im Rheinland wurden in diesem Jahr zwölf Predigtstätten aufgegeben, 2004 waren es 22. Jens-Peter Iven, Sprecher der Landeskirche: »In Zukunft werden jedes Jahr mindestens zehn Gottesdienststätten aufgegeben.« Als Symbol für die Gläubigen sei es aber wichtig, im wahrsten Sinne des Wortes »die Kirche im Dorf zu lassen«. Die Gotteshäuser würden die Christen das ganze Leben begleiten: Taufe, Konfirmation, Hochzeit, Beerdigung und Gottesdienste. Iven: »Auch Steine können predigen.«
Auch in der Landeskirche Hannover hat der Verkauf von Pfarrhäusern und Gemeindehäusern zugenommen. Der Verkauf von Kirchen und Kapellen erfolge aber nur im Notfall, sagte Sprecher Christian Weisner. Durch Aufgabe anderer Gebäude gelte es, die Kirchen als Mittelpunkt und sichtbares Symbol der Gemeinden zu stärken.
In der Landeskirche Bayern ist von einer Immobilienfalle die Rede, durch die die Gemeinden auszubluten drohten. Im Jahr 2006 werde die Landeskirche eine Liste aller Gebäude aufstellen. Dann werde entschieden, welche Immobilien verkauft oder vermietet werden sollen, sagte die Sprecherin der Landeskirche, Susanne Hassen. Bei der Vermarktung würden die wirtschaftlichen Aspekte im Vordergrund stehen. Hassen: »Wir prüfen an welcher Stelle sinnvoll gespart werden kann.«
Nach Angaben der Westfälischen Landeskirche entspricht der finanzielle Marktwert von Kirchengebäuden häufig dem Grundstückswert abzüglich der Abrisskosten. Ein Abriss sei aber die letzte Möglichkeit. Von den 900 Kirchengebäuden und Kapellen in Westfalen stünden 400 unter Denkmalschutz. Die Mittel der Denkmalpflege seien in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen. Die Gesamtbeihilfen lagen 1993 noch bei 1,07 Millionen Euro, 2000 waren es 624 000 Euro und für 2006 seien lediglich 170 000 Euro eingeplant. Nicht möglich ist in Westfalen der Verkauf von Kirchen an Moschee-Vereine. Das hat das Landeskirchenamt per Beschluss untersagt.
Nach einer Schätzung von Thomas Beyerle, Immobilienspezialist von Dresdner Bank und Allianz, ist in Deutschland jede zweite Kirche in den nächsten 15 bis 20 Jahren gefährdet. Diese Zahlen werden von Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wie von der Deutschen Bischofskonferenz aber nicht bestätigt. Die evangelische Kirche verfügt über 21 000 Kirchen, die katholische Kirche über 24 500 Gotteshäuser.

Artikel vom 31.12.2005