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Von Geduld und Sehnsucht

Bernd Kollmetz ist evangelischer Pfarrer der Johanniter-Ordenshäuser Bad Oeynhausen.

Zu unserem Wesen gehören Sehnsüchte. In alle Handlungshorizonte unseres Lebens - sei es im Privaten, sei es im Beruflichen - spielt diese innere Bewegung des Menschen hinein. Und so kam der Philosoph Ernst Bloch zu der Überzeugung: »Die Sehnsucht scheint mir die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen zu sein.« Dieser Beobachtung kann man nur zustimmen. Denn in der Sehnsucht öffnet sich der Blick in das Herz, ob sie nun berechtigt ist oder nicht. Wer den Menschen wirklich verstehen will, der achte aufmerksam darauf, wie diese Sehnsüchte zum Ausdruck kommen.
Moment mal!
Auch der Glaubende kennt diesen Moment. In den biblischen Texten spiegelt sich diese Erfahrung wider: die Sehnsucht nach Gott als Bewahrer des Lebens. Und sie kommt nicht sicher und bequem daher, sondern sie kann den Glauben zutiefst in die Anfechtung führen. Was geschieht, wenn die Sehnsucht nach gelingendem Leben sich so nicht erfüllt und die Perspektive der Erfüllung ausbleibt?

Gerade Advent und Weihnachten waren wiederum ausgefüllt mit vielerlei Sehnsüchten. Man könnte meinen, in ihr verdichteten sie sich noch ganz besonders zu dem innigen Wunsch nach Frieden, Geborgenheit und ein wenig Glück. Jetzt also heißt es Geduld bewahren, warten können: Seid geduldig bis zum Kommen des Herrn. In diesen Lebenshaltungen können wir unsere Sehnsucht nach Gott nicht nur aushalten, sondern jeden Tag neu zulassen.

Übrigens: Dass wir morgens aufstehen, ist noch kein sicheres Zeichen dafür, dass wir auch wirklich bewusst leben. Denn Leben will nicht geplant werden, sondern letztlich einfach und vielleicht gerade deshalb so schwer aus vollem Herzen gelebt werden.
Bernd Kollmetz

Artikel vom 30.12.2005