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Und plötzlich
war die Tür zu

Das »Hansa« und die Theaterkrise

Von Wilfried Mommert
Berlin (dpa). Die Theaterstadt Berlin hat seit den Umbrüchen nach der Wiedervereinigung schon einiges hinter sich, aber was Angelika Milster jetzt widerfuhr, hat eine neue Qualität bei einer Theaterschließung in der Stadt erreicht.

Allabendlich war die 54-jährige Schauspielerin und Sängerin vor gut besuchtem Haus im Hansa-Theater aufgetreten, als sie in den letzten Tagen des zu Ende gehenden Jahres, genauso überrascht wie ihr Publikum, plötzlich vor verschlossener Tür stand.
Hals über Kopf hatte der Theaterbetreiber das frühere Volkstheater mit wechselvoller Vergangenheit im Arbeiterstadtteil Moabit kurz vor Weihnachten dicht gemacht, weil angeblich die Auslastung nicht mehr stimmte. Für Auskünfte war er für die Öffentlichkeit ebenso wie für Milster nicht erreichbar. Die Sängerin, die den Vorgang »entwürdigend« nannte, wird wonders auftreten.
Dem 1963 von dem Schauspieler Paul Esser (1913-1988) gegründeten Hansa-Theater waren vor einiger Zeit die öffentlichen Zuschüsse gestrichen worden. Es tat sich schon seit langem schwer, den veränderten Besucher- und Sehgewohnheiten und vor allem dem Konkurrenzdruck großer Bühnen Stand zu halten, auch wenn sich hier populäre »Altstars« wie Harald Juhnke, Brigitte Mira und Ilja Richter die Klinke in die Hand gaben. Aber mit ihnen wurde auch das Publikum immer älter.
Da waren zuvor schon ganz andere Bühnen in die Knie gegangen, wie schon 1993 die früher von Boleslaw Barlog, Hans Lietzau und Boy Gobert geleiteten Staatlichen Schauspielbühnen Berlin mit dem Schiller- und Schloßpark-Theater, bis dahin einer der größten Theaterbetriebe im deutschsprachigen Raum. Und das traditionsreiche Metropol-Theater am Bahnhof Friedrichstraße konnte selbst ein René Kollo nicht mehr vor einem jahrelangen Dornröschenschlaf und Verfall bewahren. 2006 versuchen neue Betreiber mit einem neuen Konzept ihr Glück.
Und nun ziehen sogar über dem Kurfürstendamm dunkle Theaterwolken auf. Nicht genug damit, dass die in Nachbarschaft gelegene Volksbühne von Erwin Piscator, Kurt Hübner und Hans Neuenfels bald nach dem Mauerfall zunächst schließen musste, droht dem Westen nach dem Aus für das Schiller-Theater ein »Frontalangriff« auf sein Theaterherz.
Die in den 20er Jahren erbauten und von Max Reinhardt geleiteten beiden klassischen Boulevardbühnen, die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm, werden möglicherweise von umfassenden Umbauplänen eines neuen Investors des Kudamm-Karrees bedroht. Es ist ein seit Jahren mit Leerstand und Publikumsmangel kämpfender Hochhauskomplex am Bummel-Boulevard des Westens. Seit der Wiedervereinigung 1990 hat der Kudamm gegen die neu erstarkte innerstädtische Konkurrenz rund um die Friedrichstraße zu kämpfen. Hier sind Edelrestaurants und Einkaufsmeilen ebenso konzentriert wie das alte Theater- und Vergnügungszentrum mit Berliner Ensemble, Deutsches Theater, Friedrichstadtpalast, »Distel«-Kabarett und dem Schinkelschen Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Artikel vom 30.12.2005