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Die gerupften »Adler«

Vierschanzen-Tournee: Uhrmann will wieder angreifen

Oberstdorf (dpa). Ernste Gesichter, verfinsterte Mienen: Nach dem verpatzten Tournee-Auftakt der deutschen Ski-Adler in Oberstdorf herrschte im Mannschaftshotel »Allgäuer Bergbad« keine gute Stimmung.
Das frühe Ende aller Hoffnungen, vier Jahre nach Sven Hannawald wieder einen Gesamtsieger stellen zu können, setzte Springern und Trainer spürbar zu und war auch am Tag danach noch nicht verdaut. »Ein Stockerlplatz schien nach den Vorleistungen greifbar nahe. Aber so funktioniert das nicht im Sport«, sagte Bundestrainer Peter Rohwein.
Vor allem der mit großen Ambitionen gestartete Michael Uhrmann hatte an seinem ernüchternden Ergebnis mit Platz neun zu knabbern. »Ich ärgere mich darüber, dass ich nicht das Optimum erreicht habe. Ich habe im Eifer des Gefechts ein bisschen übertrieben«, gestand der vor dem Auftakt als Mitfavorit gehandelte Bayer. 26,5 Punkte beträgt Uhrmanns Rückstand auf Titelverteidiger Janne Ahonen, der seinen vierten Triumph und damit die Einstellung des Rekordes von Jens Weißflog anpeilt. »Ich kann noch einige Springer im Gesamtklassement einholen. Ahonen gehört nicht dazu«, schätzte Uhrmann seine Chancen für den weiteren Tourneeverlauf realistisch ein.
Die Enttäuschung war dem Weltcup-Vierten auch am Freitagmorgen noch anzusehen. Zu groß waren seine eigenen Erwartungen, zu verheißungsvoll die Ergebnisse im bisherigen Saisonverlauf. »Ich hätte lieber in Oberstdorf auf dem Podium gestanden als zuletzt in Engelberg«, gestand der 27 Jahre alte Mannschafts-Olympiasieger von 2002. Seinen Kampfgeist hat er dennoch nicht verloren. »Ich habe nicht das Gefühl, total versagt zu haben. Ich wollte vorne reinspringen und in der Gesamtwertung besser abschneiden als in den Vorjahren. Beides ist noch möglich«, sagte Uhrmann.
»Dass Michael seine Trainingsleistungen nicht bestätigen konnte, ist der einzige Wermutstropfen bei einer ansonsten guten Mannschaftsleistung. Ich bin aber überzeugt, dass er schon in Garmisch-Partenkirchen wieder vorne dabei ist«, sagte Rudi Tusch, Technischer Leiter Skisprung. Viel wichtiger war Tusch im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele aber die Tatsache, dass Georg Späth als Siebter und Alexander Herr als Zwölfter auf dem Weg zu alter Stärke sind. Tusch: »Mir ist es lieber, wir haben drei Springer unter den Top 15, als wenn einer allein da vorne rumspringt.«
Ähnlich sieht es Rohwein. »In meiner Brust schlagen zwei Herzen, denn die Lücke zu Uhrmann wurde wie gefordert geschlossen. Nur der Spitzenplatz fehlte«, sagte der DSV-Coach. Sorgen bereitet allerdings Routinier Martin Schmitt, der im Mittelmaß feststeckt. »Immer wenn man denkt, er macht zwei Schritte vorwärts, geht es einen zurück. Es ist immer wieder verdammt schwierig, mit ihm zu arbeiten. So lange er Spaß und Motivation hat, stelle ich mich aber der Aufgabe«, erklärte Rohwein.
Die Tournee-Stimmung sehen er und auch Tusch durch den Rückschlag jedoch nicht gefährdet, auch wenn die Gesamtwertung fast entschieden ist. »Man kann davon ausgehen, dass Ahonen so viel Selbstvertrauen durch den Sieg getankt hat, dass er sich noch steigert«, prophezeite Tusch.

Artikel vom 31.12.2005