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Paulettes Haus war eine kleine stämmige Frau, die den Hals reckte, die den Besucher mit den Händen in den Hüften empfing und vorgab, kein Wässerchen trüben zu können. Eine von denen, die die Augen niederschlugen und sich bescheiden gaben, wo doch alles in ihnen vor Zufriedenheit und Wohlbehagen strotzte.
Paulettes Haus war ein Frosch, der einmal so groß wie ein Ochse werden wollte. Die kleine Bruchbude eines Schrankenwärters, die sich nicht scheute, mit den Loireschlössern Chambord und Chenonceaux zu konkurrieren.
Großmannsträume, eine eitle und stolze Bäuerin, die sagt:
»Sehen Sie nur, Schwester. Es reicht doch, oder? Mein Schieferdach mit dem weißem Kalktuff, der die Tür- und Fensterrahmen zur Geltung bringt, das genügt doch, oder nicht?«
»Nein.«
»Ach so? Und meine beiden Dachgauben hier? Sie sind doch hübsch, meine Dachgauben mit den behauenen Steinen?«
»Mitnichten.«
»Mitnichten? Und das Kranzgesims? Ein Kamerad hat es mir zugeschnitten!«
»Sie reichen keineswegs heran, meine Liebe.«
Die hochnäsige Kleine ärgerte sich so sehr, daß sie sich mit Weinspalieren bedeckte, mit den unterschiedlichsten Blumentöpfen schminkte und ihre Verachtung sogar so weit trieb, sich über der Tür mit einem Hufeisen zu piercen. Ätsch, das hatten sie nicht, die ganzen Agnès Sorel und die anderen Damen Poitiers!

Paulettes Haus existierte.

Sie wollte nicht hineingehen, sie wollte ihren Garten sehen. Was für ein Jammer. Alles kaputt. Überall Quecken. Und außerdem war jetzt die Zeit der Aussaat. Der Kohl, die Karotten, die Erdbeeren, der Lauch. Der ganze gute Boden nur für Löwenzahn. Was für ein Jammer. Zum Glück habe ich meine Blumen. Das heißt, dafür ist es noch etwas zu früh. Wo sind die Narzissen? Ah! Hier! Und meine Krokusse? Und das hier, sieh mal, Camille, bück dich, wie schön sie sind. Ich sehe sie nicht, aber sie müßten hier irgendwo sein.
»Die kleinen blauen?«
»Ja.«
»Wie heißen sie?«
»Traubenhyazinthen. Ach«, stöhnte sie.
»Was denn?«
»Tja, man müßte sie auseinandersetzen.«
»Kein Problem! Darum kümmern wir uns morgen! Sie sagen mir, wir es geht.«
»Würdest du das tun?«
»Natürlich! Und Sie werden sehen, daß ich hier eifriger bin als in der Küche!«
»Die Duftwicken auch. Die sollten wir pflanzen. Das war die Lieblingsblume meiner Mutter.«
»Was immer Sie wollen.«
Camille befühlte ihre Tasche. Gut so, sie hatte ihre Farben nicht vergessen.

Sie stellten den Rollstuhl in die Sonne, und Philibert half ihr hinein. Zu viel Aufregung.
»Sieh nur, Omi! Sieh nur, wer da ist?«
Franck stand auf der Außentreppe, ein großes Messer in der einen Hand, eine Katze in der anderen.
»Ich glaube, ich mach euch lieber Kaninchen!«
Sie stellten die Stühle nach draußen und picknickten im Mantel. Beim Nachtisch wurden die Knöpfe aufgemacht, die Augen geschlossen, der Kopf nach hinten gelegt, die Beine weit von sich gestreckt und die gute Landsonne eingeatmet.
Die Vögel sangen, Franck und Philibert stritten sich:
»Das ist eine Amsel, sage ich.«
»Nein, eine Nachtigall.«
»Eine Amsel!«
»Eine Nachtigall! Verdammt, ich bin hier zu Hause! Ich kenn doch die Vögel!«
»Nicht doch«, seufzte Philibert, »du hast doch immer nur mit irgendwelchen Mofas gehandelt, wie willst du sie da gehört haben? Wohingegen ich, der ich in der Stille gelesen habe, alle Zeit der Welt hatte, mich mit ihren Dialekten vertraut zu machen. Die Amsel rollt, während der Gesang des Rotkehlchens Wassertropfen gleicht. Und in diesem Fall, kann ich dir sagen, ist es eine Amsel. Hörst du, wie sie rollt? Pavarotti bei seinen Stimmübungen.«
»Omi. Was ist das?«
Sie schlief.
»Camille. Was ist das?«
»Zwei Pinguine, die die Stille stören.«
»Sehr gut. Wenn das so ist... Komm, Philou, wir gehen angeln.«
»Ah? Äh. Es ist nur. Ich bin nicht sonderlich begabt, ich... ich... bei mir verheddert sich immer a... alles.«
Franck lachte.
»Komm, Philou, komm schon. Erzähl mir von deiner Geliebten, dann zeig ich dir, wo die Rolle ist.«
Philibert sah Camille mit großen Augen an.
»He! Ich hab nichts gesagt!« verteidigte sie sich.
»Nein, nein, sie war es nicht. Das war mein kleiner Finger.«

Wie zwei Comicfiguren - der große Croquignol mit seiner Fliege und seinem Monokel und der kleine Filouchard mit seiner Piratenbinde - entfernten sie sich Arm in Arm.
»Sag mal, mein Junge, sag deinem Onkel Franck, was für einen Köder du nimmst. Der Köder ist wichtig, weißt du? Die Viecher sind nämlich nicht blöd. Nein, nein. Die sind überhaupt nicht blöd.«

Als Paulette erwachte, drehten sie mit dem Handkarren eine Runde ums Dorf, dann steckte Camille sie in die Badewanne, damit sie sich aufwärmte.
Sie biß sich auf die Wangen.
Das war alles nicht sehr begreiflich.
Schweigen wir dazu.

Philibert machte Feuer, und Franck bereitete das Abendessen zu.
Paulette legte sich früh schlafen, und Camille zeichnete die beiden beim Schachspiel.
»Camille?«
»Mmm.«
»Warum malst du eigentlich ständig?«
»Weil ich nichts anderes kann.«
»Und jetzt? Wen machst du gerade?«
»Den Bauer und den König.«

Sie kamen überein, daß die Jungen auf dem Sofa schlafen sollten und Camille in Francks kleinem Bett.
»Ah«, gab Philibert zu Bedenken, »wäre es nicht besser, Camille nähme, hm, das große Bett, hm.«
Sie lächelten ihm zu.
»Gewiß bin ich kurzsichtig, aber doch nicht in dem Maße.«
»Nein, nein«, erwiderte Franck. »Sie geht in mein Zimmer. Wir halten es wie deine Cousins. Nicht vor der Hochzeit.«

Er wollte nämlich mit ihr im Bett seiner Kindheit schlafen. Unter seinen Fußballpostern und den Motocross-Pokalen. Es würde nicht sehr bequem sein und auch nicht sehr romantisch, aber es wäre der Beweis dafür, daß das Leben trotz allem ein gutes Mädchen war.

Er war so trübselig gewesen in diesem Zimmer. So trübselig.

Hätte man ihm gesagt, daß er eines Tages eine Prinzessin mitbrächte und sich hier hinlegte, neben sie, in dieses kleine Messingbett, wo früher einmal ein Loch war, in dem er als Kind verschwand, und wo er sich später rieb und von anderen Geschöpfen träumte, die weit weniger hübsch waren als sie. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 07.01.2006