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Millionen »unsichtbare«
Kinder haben keine Zukunft

Unicef präsentiert erschreckende Zahlen - ohne Namen und Schule

Bielefeld (WB/rb). Die Forderung von Unicef klingt banal: »Jedes Kind hat das Recht auf einen Namen.« Dahinter steckt eine Tragödie.
Dieses Lächeln haben Millionen Kinder in der Welt nicht. Eine Kindheit, um gesund aufzuwachsen, zu lernen und zu spielen gibt es für sie nicht. Sie führen ein Leben am Rande der Gesellschaft.
Mehrere hundert Millionen Kinder werden von den herkömmlichen Maßnahmen der Armutsbekämpfung nicht erreicht, weil niemand von ihnen weiß. Sie leben, aber auf dem Papier gibt es sie gar nicht. Straßenkinder, arbeitende Kinder, Flüchtlinge, Kinder ethnischer Minderheiten und Waisenkinder tauchen in den offiziellen Statistiken erst gar nicht auf.
Die Regierungen, Behörden und die Öffentlichkeit in bestimmten Ländern ignorieren sie. Die »unsichtbaren Kinder« gehen häufig nicht zur Schule, haben keinen Arzt und vor allem keine Zukunft. Selbst Sklavenarbeit, Prostitution oder willkürliche Gewalt durch Polizei und Militärs werden kaum verfolgt. Aber: In denselben Ländern werden Heranwachsende oft schon bei geringen Vergehen in Gefängnisse gesteckt und wie erwachsene Straftäter behandelt.
Der Unicef dokumentiert in seinem Jahresbericht 2006 das erschreckende Ausmaß dieser Ausgrenzung von Kindern:
- Jedes zweite Kind in den Entwicklungsländern bleibt ohne Geburtsurkunde. Es fehlen damit die Voraussetzungen für Schulbesuch, Gesundheitsversorgung und soziale Leistungen. Jedes Jahr sind dies 48 Millionen Neugeborene.
- Weltweit wachsen 143 Millionen Kinder ohne Vater, Mutter oder beide Eltern auf. Durch Aids steigt die Zahl der Waisen in einigen Ländern weiter an.
- 100 Millionen Kinder schlagen sich schutzlos und ohne jede Chance auf eine Ausbildung in den Großstädten auf der Straße durch.
- Schätzungsweise 171 Millionen Kinder arbeiten unter Bedingungen, die ihrer Gesundheit schaden und sie vom Schulbesuch abhalten. 8,4 Millionen von ihnen werden als Sklaven oder Schuldknechte ausgebeutet.
Die Hauptursachen für die Ausgrenzung von Kindern sind extreme Armut und die ungleiche Verteilung des Wohlstands, Versagen der Regierungen, bewaffnete Konflikte und die weltweite Aids-Epidemie. »Die ärmsten und am stärksten bedrohten Kinder dürfen nicht länger übersehen werden. Armutsbekämpfung und Kinderschutz gehören zusammen. Jedes Kind hat ein Recht darauf, zur Schule zu gehen und vor Ausbeutung und Gewalt geschützt zu werden«, sagt Reinhard Schlagintweit, Vorsitzender von Unicef Deutschland.
Die Hauptursachen für die Ausgrenzung von Kindern seien extreme Armut und die ungleiche Verteilung des Wohlstands, Versagen der Regierungen, bewaffnete Konflikte und tückische Krankheiten. Gerade in den ärmsten Ländern der Welt wächst nicht nur die Zahl der Kinder, sondern auch die Gefahr, dass Kindern der Schulbesuch oder eine Gesundheitsversorgung vorenthalten bleiben. Aber auch wo es Entwicklungsfortschritte gibt, gehen diese oft an den ärmsten Kindern vorbei. Der Unicef-Jahresbericht nennt verschiedene Ursachen:
- Kinder ohne offizielle Identität: Nach neuesten Schätzungen werden jedes Jahr 55 Prozent aller Geburten in den Entwicklungsländern nicht registriert. In Bangladesch und Afghanistan zum Beispiel werden nur sieben Prozent aller Kinder bei der Geburt erfasst. Ohne Geburtsurkunde können die Kinder oft nicht an einer Schule angemeldet werden und haben keinen Anspruch auf medizinische Behandlung.
- Kinder, die erwachsen sein müssen: Mädchen werden häufig als wirtschaftliche Belastung angesehen. Deshalb steigt die Zahl der Kinderehen, wenn die wirtschaftliche Not zunimmt. Auch wenn in vielen Entwicklungsländern Kinderhochzeiten verboten sind, werden jedes Jahr schätzungsweise 80 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Die Zwangsheirat ist oft der Anfang lebenslanger häuslicher und sexueller Unterwerfung.
- Kinderarbeit: Vielen armen Familien bleibt nichts anderes übrig, als ihre Kinder schon in jungem Alter arbeiten zu schicken. 73 Millionen Kinderarbeiter weltweit sind nicht einmal zehn Jahre alt. Schätzungsweise 8,4 Millionen Kinder arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen.
- Kinderhandel und sexuelle Ausbeutung: Schätzungsweise zwei Millionen Kinder und Jugendliche weltweit werden als Prostituierte ausgebeutet. Ein großer Teil von ihnen ist Opfer skrupelloser Menschenhändler. Sie werden gewaltsam verschleppt, betrogen oder durch falsche Versprechungen dazu gebracht, den Schleppern zu folgen.

Artikel vom 07.01.2006