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Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle - und jetzt in der Falle

Chrobog galt in Bonn und Berlin als Spitzenkraft im Auswärtigen Dienst

Von Kristina Dunz
Berlin (dpa). Jürgen Chrobog war in seiner Zeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt ein geschätzter Krisenmanager. Jetzt sitzt der Spitzendiplomat selbst in der Falle.
Waffen, selbst russische Schnellfeuergewehre gehören im Jemen zum Alltagsbild. Für Ausländer ist kaum zu erkennen, ob es sich bei einem solchen »Gun-Ship« wie hier im Bild um Wachschutz oder Räuber handelt.
Entführungen von Touristen und Entwicklungshelfern sind im Jemen keine Seltenheit. In den allermeisten Fällen geht es allein um Geld.

Ihn ereilt genau das Drama, aus dem er anderen Menschen heraushalf: eine Geiselnahme. Zwar spricht das Auswärtige Amt aus diplomatischen Gründen davon, dass Chrobog, seine Frau und seine drei Kinder im Jemen »vermisst« würden. Die jemenitische Regierung teilte aber gestern unumwunden mit, dass der 65 Jahre alte Chrobog mit seiner Familie entführt wurde, und schilderte den Tathergang.
Der Jemen ist ein Staat, den das Auswärtige Amt (AA) seit langem nicht als Reiseland empfiehlt. Es bleibe Vorsicht geboten, heißt es, und es wird vor Risiken wie Terroranschlägen gewarnt. Der 65-jährige Chrobog ist offenbar auf Einladung des ersten stellvertretenden Außenministers in den Jemen gereist. Und er tat dies nicht auf eigene Faust, sondern schloss sich einem Reiseveranstalter an.
Im Jahr 2003 hatte Chrobog monatelang um die Freilassung von 14 Sahara-Touristen, darunter der Detmolder Rainer Bracht und acht weitere Deutsche verhandelt. Fast täglich konferierte er mit den Chefs der deutschen Sicherheitsdienste. Dies macht nun der jetzige Staatssekretär Georg Boomgarden für Chrobog in dessen eigenem Fall.
Chrobog galt im Außenministerium als Mann für stille Missionen. Über dem Fall der Sahara-Geiseln hing eine faktische Nachrichtensperre. Und in dieser Tradition äußerte sich auch gestern das AA »im Interesse der Vermissten wie in vergleichbaren Fällen« nicht zu Details, Hergang oder Bemühungen der Regierung. Vergleichbar ist der Fall allerdings wohl kaum. Die Entführung eines erfahrenen deutschen ehemaligen Außenstaatssekretärs dürfte weit mehr Aufmerksamkeit bewirken als die einer unbekannten Familie.
Zu vergleichen ist sein Fall auch nicht mit der im Irak entführten und freigelassenen Susanne Osthoff. Deren Geiselnehmer hatten mit ihrer Ermordung gedroht und an Deutschland politische Forderungen gestellt. Chrobogs Entführer wollen offenkundig einen Angehörigen ihres Stammes freipressen, der in der Hafenstadt Aden im Gefängnis sitzt.
AA-Sprecher Martin Jäger hatte am Mittag in Berlin von der Geiselnahme berichtet, ohne Chrobog zu nennen. Auf die Frage, warum das AA bereits einen Krisenstab eingerichtet habe, wenn doch auch ein Unfall der vermissten Familie angenommen werden könne, hatte Jäger gesagt: »Wir wollen für alle möglichen Fälle von Beginn an gewappnet sein.« Und er sagte auch: Das AA steht mit allen relevanten Stellen in Kontakt und wird alle Anstrengungen daran setzen, die Familie so schnell wie möglich wieder in Sicherheit zu bringen.«
Damit war eine Andeutung gemacht, ohne dass zu diesem Zeitpunkt jemand ahnen konnte, um welch prominentes Entführungsopfer es sich handelt.
Am 18. August 2003 war Chrobog im Fall der Sahara-Geiseln am Ziel: Im Norden Malis wurden sie freigelassen. Die Bundesregierung mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat es angekündigt: Sie wird alles daran setzen, dass dieses Ziel nun auch für Chrobog selbst erreicht wird.

Der Jemen
Entführungen von Touristen, von Ingenieuren und Entwicklungshelfern sind im Jemen keine Seltenheit. Bisher verschleppten Stammeskrieger vor allem Ausländer, die sich mit dem eigenen Wagen über die buckeligen Pisten im Hinterland wagten.
Mitten in der Hauptstadt Sanaa wurde im Juni 2001 der deutsche Arabistikstudent Carl Christian Hoernecke verschleppt. Nach längeren Verhandlungen kam der 22- Jährige wieder auf freien Fuß.
Tödlich sind Geiselnahmen im Jemen bisher nicht ausgegangen. Vielmehr sind die Geiseln für die Stämme eine Art Verhandlungsmasse, die sie benutzen, wenn ihnen die Regierung etwa den Bau einer Schule verweigert

Artikel vom 29.12.2005