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Archäologen gelten als Spione

Verband warnt: Die Wissenschaftler sollten nicht Entwicklungshelfer sein

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Archäologen leben nicht nur im Irak gefährlich. »Auch in Italien werden sie bedroht«, sagte gestern die Sprecherin des Deutschen Archäologen-Verbandes, Beate Bollmann, dieser Zeitung.
Der Archäologe Gösta Ditmar-Trauth zeigt in Magdeburg steinerne Gussformen aus dem frühen 13. Jahrhundert. Foto: dpa
Wer Raubgräbern in Canosa an der Ostküste, in Apulien oder der Toskana in die Quere komme, müsse um Leib und Leben fürchten. »In Italien haben sich mafiöse Strukturen gebildet, die Raubgräber plündern systematisch ganze Felder«, erklärte Bollmann. In erster Linie suchten die Banden nach bemalter Keramik aus der klassischen griechischen und römischen Zeit.
Die Entführung der Archäologin Susanne Osthoff lenkte die Aufmerksamkeit der Medien auf die Gefahren im Irak. Auch im Iran, Syrien, Jemen und Libanon müssten Wissenschaftler damit rechnen, entführt zu werden, sagte Bollmann. Besonders gefährdet seien Kollegen aus Großbritannien und den USA: »Britische Archäologen wurden in den beiden Weltkriegen oft als Spione für ihre Regierung tätig. Die Vermutung, dass auch ihre Nachfolger heute Geheimdiensten Informationen liefern, hält sich hartnäckig.«
Die Tatsache, dass Archäologen Land und Leute kennenlernen, errege immer wieder Argwohn. Den Terroristen im Irak missfalle, dass die Ausgräber den Einheimischen Aufträge verschaffen und die Infrastruktur voranbringen. Bollmann: »Die Terroristen wollen Chaos, keinen Fortschritt.« Der Deutsche Archäologen-Verband warnt seine 800 Mitglieder davor, sich zu sehr mit einem Land und ihren Menschen zu identifizieren. Susanne Osthoff sehe sich offenbar mehr als Entwicklungshelferin denn als Archäologin. Eine solche Einstellung gefährde aber nicht nur sie allein, sondern auch ihr Team. »In der Regel fühlen sich Archäologen mit einem Gebiet verbunden, werden aber nicht humanitär tätig«, betonte Bollmann.
Zum Glück sei bislang kein deutscher Archäologe getötet worden. »An den meisten Ausgrabungsstätten ist es friedlich, abenteuerlich sind eher die Lebensumstände«, erklärte die Verbandssprecherin. Kein Strom, sengende Hitze, Sandstürme, Skorpione, Hunger und Durst machten den Bodendenkmalpflegern mehr zu schaffen als Aufständische oder misstrauische Regierungen. »Es gibt immer wieder Unglücksfälle, die tödlich enden«, berichtete Bollmann.
Manchmal buddeln Archäologen nach Kunstschätzen und hören gleichzeitig Gewehrfeuer. So wie vor zehn Jahren in der Tempelanlage Baalbek im Libanon. Sie diente den »Gotteskriegern« der Hisbollah als Trainingscamp.

Artikel vom 28.12.2005