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Zebras mit mehr Biss

Gummersbach fehlen gegen Kiel die »Rambo-Typen«

Köln (dpa). Der Rekordmeister probte den Aufstand, doch der Titelverteidiger ließ sich die Macht nicht entreißen.

Das »Spiel des Jahres« in der Handball-Bundesliga brachte eine klare Erkenntnis: Der THW Kiel steuert unbeirrbar einem neuerlichen Triumph entgegen. Nach dem dramatischen 34:32 (16:14)-Sieg beim VfL Gummersbach geht der elfmaligen Titelträger als Tabellenführer in das EM-Jahr 2006. Doch Meister-Macher Zvonimir Serdarusic will noch nichts davon wissen, dass der Turnverein Hassee-Winterbek auch beim Saisonfinale am 3. Juni ganz oben steht und an Titeln mit Gummersbach gleichzieht.
»In 13 Jahren beim THW habe ich noch nie vom Titel gesprochen, ehe er nicht unter Dach und Fach war. Meister sind wir noch nicht«, hielt sich Serdarusic nach dem »Handballkrimi« vor 19 250 Zuschauern in der ausverkauften Kölnarena wie immer zurück. Doch der psychologische Vorteil für den THW ist immens: »Auswärts ein solches Spiel zu gewinnen - das ist ein Riesenerfolg, mit solchen Punktgewinnen rechnest du nicht«, schilderte Kiels sechsfacher Torschütze Marcus Ahlm den Effekt, den sich die »Zebras« aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt für die Rückrunde erhoffen.
Die Partie, das 1000. Bundesligaspiel des VfL, war ein Spektakel ohnegleichen. Die Besucher in der Großarena im Kölner Stadtteil Deutz machten das Duell des Tabellen-Zweiten aus Gummersbach gegen den Spitzenreiter aus Kiel zu einem wirklichen Gipfeltreffen. »Es gab drei Gewinner, den THW, die Kölnarena und den Handball in Deutschland«, bilanzierte VfL-Aufsichtsratschef Hans-Peter Krämer nach der leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung, in der eine frühe Entscheidung gefallen schien: Nachdem der VfL beim 1:0 und 2:1 nur zwei Mal führte, zog Kiel bis zur 36. Minute auf 22:15 davon und sah auch 19 Minuten vor dem Ende beim 25:18 wie der sichere Gewinner aus.
Doch die Gummersbacher um den mit zehn Treffern überragenden Franzosen Daniel Narcisse bäumten sich gegen die Niederlage auf. Frank von Behren zum 29:31 und Narcisse zum 30:31 brachten den Herausforderer wieder heran, und als der Südkoreaner Kyung-Shin Yoon zum 31:32 traf und noch 1:34 Minuten zu spielen waren, witterte der VfL seine Chance - und vergab sie.
»Uns haben die Rambo-Typen gefehlt, die keinen Respekt vor dem Gegner haben«, monierte der Gummersbacher Chefcoach Velimir Kljaic fehlenden Mut in seinem Team. Nur Narcisse, von Behren (4 Tore) und der Isländer Robert Gunnarsson (4) überzeugten den Kroaten Kljaic ohne Einschränkung, »der Rest hatte zu viel Respekt«. Dennoch sei Kiel »nur noch einen halben Schritt voraus«, sagte VfL-Chef Krämer.
Dass die Unparteiischen Bernd Andler/Harald Andler beim Stand von 31:32 auf Siebemeter für den THW entschieden und der Schwede Stefan Lövgren zum 33. Kieler Treffer einschoss, erzürnte Kljaic: »Da hat wohl einer gedacht, er sei Wildhüter in Afrika und müsse die Zebras schützen.« Doch dann erkannte der 59-Jährige, der Kroatien 1996 zum Olympiasieg führte, den wahren Wert der knappen Niederlage: »Wir haben einen Riesenschritt nach vorn gemacht.«

Artikel vom 29.12.2005