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»Knolle« und
andere GewächseVon Oliver Kreth


Ein Hurra der Doppelmoral des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV). Gerne geißeln die Verantwortlichen aktuell und öffentlich die Balco-Beschleunigten und ihre Bestleistungen wie zum Beispiel bei Tim Montgomery und Marion Jones. Doch nicht nur die USA - neben dem Ostblock das Mekka der muskulären Muntermacher - ist und war vom Doping verseucht. Auch Deutschland hatte in den 80er- und 90er-Jahren seine »Gewächse« und tut sich mit Rekord-Rodungen äußerst schwer.
Schon 1994 lieferte die Provinz eine Pillen-Posse. Das Hammer Amtsgericht hatte den damaligen Cheftrainer der SC Eintracht Hamm, Heinz-Jochen Spilker, und seinen »Assi« Jörg Kinzel zu Geldstrafen verurteilt. Grund: Sie hatten ihren Athletinnen Anavar verabreicht. Dank dieses Anabolikums stellten Helga Arendt, Silke Knoll, Mechthild Kluth und Gisela Kinzel 1988 die Hallen-Weltbestmarke über 4x200-Meter (1:32,55 Minuten) auf.
Seit 1986 waren die Muskel-Muntermacher wohl schon Teil des Trainings. Das belegten damals auch Notizen von Silke Knoll (Spitzname: Knolle), die 2004 mit 37 ein Comeback über 60 Meter (7,92 Sekunden) gab. Am 19. Januar 1988 malte sie erstmals ein verdächtiges Quadrat in ihr Trainingsbuch und schrieb auch die Anweisungen Spilkers nieder: 15 Tage Einnahme bis 18 Tage vor Wettkampf. Am 20. Februar waren die Frauen dann ein echter Hammer.
Das alles war schon Anfang der 90er-Jahre bekannt. In der Szene gab es neben Hamm noch andere Vereine unter Verdacht. Doch der DLV verharrte in Duldungsstarre. Helmut Digel, damals DLV-Boss und heute Vizepräsident des Weltverbandes IAAF und lange Dieter-Baumann-Unterstützer, sah damals zwar - verbal - Handlungsbedarf, doch er hielt den in diesem Prozess ebenfalls belasteten Wolfgang Thiele bis 2000 im Amt des nationalen Sprint-Beschleunigers.
Auch mit der Ausradierung von dopingbelasteten Rekordmarken tut sich das DLV-Präsidium äußerst schwer. Der Antrag von Ines Geipel auf Streichung der Jenaer Weltrekordmarke über 4x100-Meter für Vereine (1984 gelaufen) wird zwar von einer DLV-Kommission geprüft, aber warum es einer Prüfung bedarf, darf gefragt werden. Schließlich liegt Geipels indirektes Geständnis vor. Und dass der DLV schnell handeln kann, konnte man 1986 sehen: Die Wolfsburger 4x100-Staffel wurde wegen eines gedopten Läufers bei den nationalen Meisterschaften in Berlin disqualifiziert und aus den Rekord-Listen gestrichen.
Die Kommission, die alle deutschen Rekorde untersucht, hat sich mittlerweile von einer Geipel-Geständnis-Forderung und dem Kriterium »Doping müsse zum Zeitpunkt des Rekorde nachweisbar sein« verabschiedet, doch noch baut man auf Selbstreinigungswünsche in den Vereinen. Die Aussichten sind diffus. Schließlich hat man ja auch dort gerne mit dem Finger auf die Staatsdoper im Osten gezeigt.
Es bleibt weiter ein Rätsel, warum der DLV nicht häufiger mit denen spricht oder gesprochen hat, die er vertritt -Êden Athleten. So hätten die Sprinter der LG Wipperfürth Auskunft über das gigantische Muskelwachtstum von »Knolle« Auskunft geben können. Denn irgendwann haben wir unseren mittlerweile verstorbenen Staffel-Kollegen Axel Cleve gefragt: »Was nimmt denn deine Ex-Freundin Silke jetzt für 'ne Pille?« Und dabei dachten wir nicht an Verhütung.

Artikel vom 04.01.2006