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Volkswagen

Skandale beuteln
VW-Konzern

Nein, es stimmt nicht, dass bei neuen VW-Fahrzeugen künftig das Bremslicht gelb aufleuchten wird. Aber dass man in Wolfsburg am liebsten nichts mehr von Rotlicht wissen will, ist allemal mehr als verständlich.


2005 war der Volkswagen-Konzern ständig wegen unkontrollierter Geldflüsse, Vergnügungsreisen und Inanspruchnahme von Prostituierten-Dienstleistungen auf Konzernkosten in den Schlagzeilen.
Eines vorweg: Auch 2005 war der Golf Deutschlands meistverkauftes Auto. Bis Ende November wurden von dem Modell 221 958 Fahrzeuge neu zugelassen. Erst mit weitem Abstand folgt mit 112 645 der Opel Astra. Drittes Auto ist mit 94 234 übrigens wieder ein Modell aus dem VW-Konzern: der Audi A4.
Doch diese Zahlen beschreiben zwar die Bedeutung des Automobils, das ja auch als »Volks-Wagen« erfunden wurde, aber nicht die wirtschaftliche Situation des Konzerns. VW hat sowohl den Maschinenpark als auch das Personal, um sechs Millionen Fahrzeuge produzieren zu können. Absetzen kann es seit Jahren aber nur etwa fünf Millionen. Die Gewinne werden eher bei den Finanzdienstleistungen und die Tochter Audi eingefahren.
VW-Markenchef Wolfgang Bernhard, von DaimlerChrysler nach Wolfsburg gekommen, hat deshalb bereits einen rigiden Sparkurs angekündigt. Bis zu 10 000 der 103 000 Stellen sollen abgebaut werden - unter Umgehung betriebsbedingter Kündigungen.
In dieser Situation können die Beschäftigten normalerweise auf ihren Betriebsrat bauen. Wohl in keinem anderen deutschen Unternehmen hat die IG Metall eine so starke Stellung. Die Löhne liegen bei VW großteils 20 Prozent über Flächentarif. Der Vorstand ist auf die Mitwirkung des Betriebsrates angewiesen - und ließ sich das in der Vergangenheit einiges kosten.
Wie viel und vor allem wofür das Geld eingesetzt wurde - das erregte 2005 allerdings doch großes Interesse in der Öffentlichkeit. So zahlte Volkswagen offenbar nicht nur Lustreisen des Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert zu seiner brasilianischen Geliebten Adriana Barros und gemeinsame Urlaube beispielsweise auf den Andamanen - ein Tripp, an dem übrigens noch vier weitere Personen teilgenommen haben sollen und der wohl mehr als 150 000 Euro gekostet hat. Nein, auch die daheim gebliebene Ehefrau soll nicht zu kurz gekommen sein, wie entsprechende Belege für teure Schmuckeinkäufe belegen.
Volkert ist inzwischen ebenso zurückgetreten wie sein Personalchef Peter Hartz. Er sorgte offenbar dafür, dass Betriebsrats-Belege unkontrolliert einfach abgebucht wurden. Hartz, am Jahresanfang durch das Gerhard Schröders Regierungsprojekt Hartz IV berühmt und bei den bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfängern berüchtigt, machte im Sommer nur noch mit dem Hartz-Sexprojekt Schlagzeilen.
Mindestens eine Prostituierte aus Hannover belastete ihn bei den Verhören mit der Polizei. Sie habe sich mehrmals mit Hartz persönlich in einer von VW angemieteten Liebeswohnung in Braunschweig getroffen. Danach war der mächtigen Mann nicht mehr zu halten. Der Aufsichtsrat nahm sein Rücktrittsangebot an.
Eine andere Schlüsselfigur, VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer, sorgte dafür, dass die Rotlicht-Liste noch lang und länger wurde. Unter anderem benannte er zwei SPD-Politiker aus Hannover, den Landtagsabgeordneten Günter Lenz und den Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Uhl. Auch sie hätten auf Kosten von VW Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen.
Gegen Gebauer und gegen eine weitere Schlüsselfigur in der Affäre, den Ex-Skoda-Personalvorstand Helmuth Schuster, ermittelt die Staatsanwalt auch wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug. Beide sollen ein Netz von Tarnfirmen aufgebaut haben, um sich persönlich zu bereichern. Die Nachforschungen dauern an.
Volkswagen ist nicht irgendein Konzern. Die VW-Aktie war die erste »Volksaktie« in Deutschland - lange vor der Telekom. Auch durch die starke Stellung des Landes Niedersachsen blieb Volkswagen so etwas wie ein »volkseigener Betrieb«.
Seit Herbst 2005 allerdings liegt der Anteil des Bundeslandes (18,2 Prozent) unter dem der Porsche AG (knapp 20 Prozent). Die kleinen Aktionäre sehen den Einstieg der erfolgreichen Sportwagen-Schmiede wohl überwiegend mit Wohlgefallen. Das Vorzeige-Unternehmen aus dem Südwestdeutschen bringt Glanz in das triste Wolfsburg. Es stärkt allerdings auch die Position des früheren VW-Vorstandschefs und jetzigen, vertraglich bis 2007 amtierenden VW-Aufsichtsratsvorsitzenden. Direkt hält Ferdinand Piech hält 13,2 Prozent der Porsche-Aktien; weitere große Pakete hält die Familie Porsche-Piech.
Nachdem die Zustände bei VW bekannt wurden, hatte sich Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Christian Wulff vorgenommen, mit der Vormachtstellung der IG Metall im Wolfsburger Konzern aufzuräumen.
Damit legte er sich jedoch schon bald gegen Piech quer. Deutlich erkennbar wurden die zwei Lager bei der Wahl des Audi-Managers Horst Neumann zum Hartz-Nachfolger und neuen VW-Personalchef. Wulff wollte sie verhindern. Piech stimmte aber mit den Aufsichtsräten Klaus Liesen (Ruhrgas) und Michael Frenzen (TUI) sowie vor allem den Vertretern der Belegschaft für Neumann. Aufsichtsrat Gerhard Cromme (ThyssenKrupp) zog die Konsequenz und trat zurück.
VW ist da nur die Spitze des Eisbergs. Fast täglich kommen kleinere Mauscheleien ans Licht der Öffentlichkeit. Der Bausektor scheint dafür besonders anfällig. Im medizinischen Bereich wurde etwa mit dem Handel von menschlichen Ersatzteilen privates Geld gemacht. Bei DaimlerChrysler haben sich in der Vertriebsabteilung 17 Personen wohl privat bereichert.
Der Vorstandschef einer ThyssenKrupp-Tochter in Andernach soll von Lieferanten Leistungen für sein Privathaus in Anspruch genommen haben. Selbst die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten machten 2005 durch bezahlte Schleichwerbung (Product Placement) in Fernsehfilmen sowie durch Korruption bei einigen Sportredakteuren von sich reden. Nach jahrelanger Fahndung gelang es der Polizei 2005, den früheren Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ludwig-Holger Pfahl, festzunehmen. Er kassierte Millionen von Karlheinz Schreiber - offenbar ganz ohne Gegenleistung, wie das Gericht aus Mangel an Beweisen festzustellen genötigt war.
Ein Skandal, wenn auch oft nicht strafbar, sind die extrem hohe Abfindungen für gescheiterte Manager. Udo Stark (MTU) ist in dieser Hinsicht besonders erfolgreich. Die Bonuszahlungen an ehemalige Mannesmann-Manager werden auch 2006 die Gerichte beschäftigen. Esser und Co. kassierten Millionen dafür, dass sie die Übernahme durch Vodafone nicht verhindern konnten.
Der Fisch, so heißt es, stinkt zuerst am Kopf. Genauso ist es in der Wirtschaft. Wer als Unternehmer oder Manager Urlaubseinladungen an Politiker oder Betriebsräte, gemeinsame Firmenkosten-Bordellbesuche mit Kunden oder einfach Zahlungen für nie erbrachte Leistungen als normal darstellt, sollte sich über mögliches Fehlverhalten seiner Mitarbeiter anschließend nicht auch noch wundern.


Ein Beitrag von
Bernhard Hertlein

Artikel vom 31.12.2005