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Schriftstellerin hat ein
Recht auf Künstlichkeit

Brigitte Kronauer wird morgen 65 Jahre alt

Hamburg (dpa). Für Literatur-Kritiker Marcel Reich-Ranicki ist Brigitte Kronauer »die beste Prosa schreibende Frau der Republik«. Rezensenten loben den Blick der Hamburger Schriftstellerin, die morgen 65 Jahre alt wird, für kleinste Dinge und Regungen beim Schreiben über große Themen und Probleme.
Brigitte Kronauer mit ihrem neuen Roman.Foto: dpa

Wenn man die Elbchaussee entlangfährt, vorbei an herrschaftlichen Villen - die Elbe und die Hafenanlagen blitzen zwischen den vorbeiziehenden Bäumen hervor - dann meint man, Brigitte Kronauer gleich zu begegnen. So anschaulich und zugleich poetisch hat die zierliche blonde Frau die Gegend, in der sie mit ihrem Ehemann in einem Klinkerhäuschen wohnt, in ihrem Roman »Teufelsbrück« (2000) beschrieben. Da wird beispielsweise das Elbe-Einkaufs-Zentrum (EEZ) zu einem Ort der schicksalhaften Begegnung.
Aufgewachsen in einem bürgerlichen Elternhaus im Ruhrgebiet nach dem Krieg, träumte Brigitte Kronauer schon als kleines Mädchen davon, Schriftstellerin zu werden. Bereits als 16-Jährige schreibt sie Hörspiele und schickt Geschichten an Verlage. »Um unabhängig zu sein«, wird sie nach dem Germanistik-Pädagogik-Studium in Köln zunächst Lehrerin.
Nach drei Bänden mit kurzen Prosastücken in den 70er Jahren kam mit ihrem ersten Roman »Frau Mühlenbeck im Gehäus« (1980), in dem sie zwei unterschiedliche Frauenleben aufeinander prallen lässt, der große Durchbruch. Schon an ihrem Debütroman lobten die Kritiker sprachliche Kunstfertigkeit, Sicherheit des Stils und Originalität der Beobachtung. Der 1990 erschienene Roman »Die Frau in den Kissen« schloss die mit »Rita Münster« begonnene und mit dem »Berittenen Bogenschützen« fortgesetzte Trilogie zum Thema Emanzipation ab. Für ihren Roman »Teufelsbrück« (2000) erhielt Kronauer 2003 den Grimmelshausen-Preis und für ihren Roman »Verlangen nach Musik und Gebirge« (2004) den Bremer Literaturpreis.
Die zugleich stark und zerbrechlich wirkende Frau hasst das Klischee vom Schriftsteller, der »wie in einem Rausch« sein Werk zu Papier bringt. »Das Schreiben ist so Bestandteil meiner Existenz und meines Lebens, meiner Gedanken, meines Herzens, dass ich das nicht trennen kann.« Nur in ihrer Kammer unter dem Dach fühlt sie sich ungestört genug, um sich voll auf ihre Figuren konzentrieren zu können. Nur hier kann sie eine »magische Stimmung« aufrechterhalten und an die Welt glauben, die sie selber errichtet.
In ihrer Dankesrede für den Georg-Büchner-Preis sprach sie sich für das Recht auf Künstlichkeit in der Literatur aus. Zugleich wandte sich Kronauer gegen Verkürzungen und Verallgemeinerungen, wie man sie allzu leicht in das oft zitierte Büchner-Wort »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« interpretieren könne. Literatur müsse zwar oft ein »Gegner der Gesellschaft und ihrer zeitgeistlichen Zumutungen« sein, stelle aber stets »den treuesten und streng fordernden Freund des Individuums dar«.

Artikel vom 28.12.2005