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Die ganze
bunte Welt im Aufklappbild
Werke des Buchkünstlers Vojtech Kubasta in Pyrmont
Sicher, seine Werke fanden sich vor allem in den Kinderbuchabteilungen. Prallbunte Illustrationen zu Märchen, Zirkus- und Abenteuergeschichten. Bilder von Autos, Eisenbahnen, Schiffen, Ritterburgen und Polarstationen. Der ganze Kosmos dessen, was Kinderherzen schneller schlagen lässt. Und klappte man eines der Bücher auf, so öffneten sich diese Bilder wie von Zauberhand, entfalteten sich zu einer opulenten Inszenierung.
Doch die dreidimensionalen Werke des tschechischen Buchkünstlers Vojtech Kubasta (1914 - 1992) haben zu jeder Zeit auch ihr erwachsenes Publikum gefunden. Für Buchliebhaber jeden Alters sind sie ein beinahe unerschöpflicher Quell neuer Entdeckungen. Filigran gezeichnet, voller guter Laune und Aktion wecken die »Pop ups«, wie diese Art der Buch- und Kartengestaltung inzwischen international bezeichnet wird, in jedem Betrachter die Neugier und Entdeckungsfreude eines Kindes. Wer in jungen Jahren ein solchermaßen faszinierendes Gebilde in den Händen hielt, erinnert sich sein Leben lang mit Freude daran.
So darf das Museum im Schloss Bad Pyrmont wohl mit vielen entdeckungshungrigen Besuchern rechnen: Bis zum 5. Februar zeigt es die weltweit erste Werkausstellung des Meisters der dreidimensionalen Bücher. Entwickelt und gestaltet wurde sie von den Berliner Kubasta-Kennern Thomas Gubig und Sebastian Köpcke, die auch den Katalog »Pop up - Die dreidimensionalen Bücher des Vojtech Kubasta« herausgaben (29 Euro). Auf knapp 95 Seiten zeigt er mehr als 330 farbige Abbildungen aus nahezu allen den Autoren bekannten dreidimensionalen Büchern des Prager Illustrators, stellt ihn vor und lässt seine Tochter Dagmar Kubastova-Vrkljan zu Wort kommen. »Er malt Bilder«, habe sie stets »ganz stolz« geantwortet, wenn ihre Freundinnen fragten, was ihr Vater denn so mache, erinnert sich die seit Jahrzehnten in Kanada lebende Frau. Und fügt hinzu: »Heute, im Nachhinein weiß ich, dass er eine Zauberwelt erschaffen hat.« - Womit sie den Nagel auf den Kopf trifft.
Schöne Bilderbücher gibt es tatsächlich viele auf der Welt. Einen besonderen »Kick« allerdings erhalten sie durch die Aufstell-Technik, als deren Pionier die Fachwelt Kubasta feiert. Er belebte die Tradition der »Mechanischen Bücher« und entwickelte diese besondere Technik in gut drei Jahrzehnten ideenreich weiter. Grundlage war - neben seinem großen Zeichentalent - ein Ingenieur- und Architekturstudium an der Polytechnischen Universität Prag. Raumgestaltung und Innendekoration waren zunächst die Arbeitsschwerpunkte des jungen Absolventen. Und dem blieb er letztlich auch in mit seinen späteren Büchern treu. »Ihre Faszination besteht in der wiederholbaren mechanischen Wandlung eines Buches in eine räumliche Inszenierung«, beschreiben es die Austellungsmacher Gubig und Köpcke: »Das Buch wird zur Bühne, nicht selten lässt sich durch Zieh- und Hebelmechanismen auch noch Bewegung in das Bild bringen.« Oder einfacher: Das Bilderbuch als Welttheater - aufschlagen genügt! Nach der Aufführung verschwindet alles wieder zwischen zwei Buchdeckeln - bis zur nächsten »Show«. Und wenn die Papp-Bilder mit der Zeit ausleierten, so zeugte dies doch nur davon, mit welcher Faszination sie wieder und wieder zur Hand genommen wurden.
Bereits in den frühen 40er-Jahren begann Vojtech Kubastas Tätigkeit als Buchillustrator, darunter 1949 die erste tschechische Ausgabe des Märchenklassikers »Winnie the Pooh«. Mit »Rotkäppchen« folgte 1956 sein erstes dreidimensionales Bilderbuch. Der staatliche ARTIA-Verlag Prag, zu Zeiten des Sozialismus für hochwertige und den Export vorgesehene Kunstbücher zuständig, war rasch überzeugt, mit diesem technisch perfekten, verblüffenden und die Phantasie anregenden Konzept international ins Geschäft zu kommen - und so geschah es.
Kubasta schuf auf seine Art die Märchen von Andersen und den Gebrüdern Grimm neu, ließ Gulliver, Robinson Crusoe und Alice im Winderland szenisch aufleben und entwickelte mit den »Panascopic Büchern« spannende Sachbücher für Jugendliche: Die Großformate entfalteten nach einem einführenden Textteil (etwa über die Entdeckung Amerikas oder den Besuch auf einer Polarstation) eine einzelne dreidimensionale Papierkulisse von beachtlichem Ausmaß. Auch Krippen aus der Ideenschmiede des Prager Künstlers kamen in dieser Form von Moskau bis Tokio rund um den Globus unter die Weihnachtsbäume - denn ARTIA konnte seine Werke auch in Lizenz gut verkaufen. In Westdeutschland war der Hamburger Carlsen Verlag mit von der Partie.
Und überall haben die Kinder die Magie dieser Bilderbücher wohl so empfunden, wie Kubastas Tochter Dagmar es aus der Erinnerung beschreibt: »Echte Zauberei konnte ich erleben, wenn mein Vater ein einfaches Stück Pappe nahm, mit einer Schere daran herumschnitt - und es vor meinen Augen in ein Schiff oder ein Schloss verwandelte.« Ingo Steinsdörfer

Artikel vom 07.01.2006