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Fackel der Leidenschaft
brennt von Anfang an

Jungfrau von Orleans am Theater Bielefeld umjubelt

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Am Ende wird sie brennen. Jeanne d'Arc, die, einer göttlichen Eingebung folgend, den nationalen Wiederstand der Franzosen entfachte und damit die Wende im Hundertjährigen Krieg herbeiführte, endete als Hexe auf dem Scheiterhaufen.

Peter I. Tschaikowski nahm 1878/79 das Schicksal des lothringischen Bauernmädchens zum Anlass, eine Oper mit verschwenderischem musikalischem Reichtum zu komponieren. In konzertanter Aufführung ist die »Jungfrau von Orleans« jetzt erstmals am Theater Bielefeld zu erleben. Was für eine Joanna - so der Name des in russischer Originalsprache gesungenen Werks -Êsteht da auf der Bühne der Oetkerhalle! Flammend rot gewandet, bildet Kaja Plessing in visueller wie musikalischer Hinsicht den Leuchtturm dieser Werkwiedergabe, die so funkelnd und plastisch daher kommt, dass sie der szenischen Darstellung überhaupt nicht bedarf. Die Fackel der Leidenschaft -Êsie glimmt und lodert von Anfang an in der Titelheldin, die zerrissen zwischen göttlicher Mission und irdischer Liebe bereits innerlich verbrennt, ehe die Flammen der Inquisition über ihr zusammenschlagen. Mit immensem Einfühlungsvermögen und großer Intensität gelingt Kaja Plessing eine unter die Haut gehende psychologische Nachzeichnung der »Orleanskaja Dewa«.
Und ihr reifer, fülliger Mezzosopran ist zu jeder Ausdrucksschattierung fähig: Trägt die Angst und Unsicherheit bei ihrem Abschied aus der geliebten Heimat ebenso in sich wie den Überschwang der Verheißung, das innige Gebet wie die markerschütternden Gewissensqualen. Nicht zuletzt die Liebesduette mit Lionel, bei denen sich ihr Tonschmelz mit dem warmen, einfühlsamen und facettenreichen Bariton-Geschmeide von Alexander Marco-Buhrmester verbindet, gehören zu den intimsten und schönsten Momenten dieser Opernwiedergabe.
Auf äußerliche Wirkung zielen hingegen die großen Volksszenen in Krieg und Kirche ab. Chor und Extrachor (Einstudierung Hagen Enke) bilden eine mitreißende Klangmasse, die mal kathedrale Räume erschließt, mal die hetzende Volksmasse repräsentiert. Gemeinsam mit großem Orchesterapparat, Orgel (Einspielung durch Georg Gusia an der St. Jodokus-Orgel) und den Solisten formt Tschaikowski am Ende des dritten Aktes ein fulminantes Klanggemälde, das Kevin John Edusei am Pult der Bielefelder Philharmoniker kontrastvoll nachzeichnet.
Bielefelds junger erster Kapellmeister lässt es knattern und krachen, wo immer die Partitur dramatische Spitzen vorgibt und beschwört somit das Kriegsgeschehen bildhaft herauf. Vornehmlich aber seine Fähigkeit, Melodielinien und Stimmverpflechtungen subtil herauszuarbeiten, führt immer wieder zu betörend filigranen und durchlichteten Klangbildern.
Um all dies gruppiert sich ein ausgezeichnetes Solistenteam. Man erlebt mit Jacek Janiszewski einen dunkel-dämonisch gefärbten Thibau, mit Simeon Esper einen Raimond, der jugendliche Frische und Ernst vereint. Michael Bachtadze verleiht mit bassigem Fundament und brillanter Modulation dem Dunois Gewicht, Michael Leibundgut überzeugt als Kardinal ebenso wie Luca Martin die Nöte König Karls VII. offen zutage treten lässt. Einzig Iveta Jirikova kann als Agnes nicht immer der stimmlichen Disposition ihrer Mätressen-Rolle gerecht werden.

Artikel vom 27.12.2005