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Volle Dröhnung Spreewald
Die Romantik der Gegend wird an vielen Orten dem Kommerz geopfert
Der Spreewald. Unendliche Weiten. Auf Hunderte von Kilometern addiert sich die Summe aller Arme, die die weit verzweigte Spree hier bildet.
Wo früher einsam der Postbote per Stocherkahn seine Runden zog, um die nur von der Wasserseite erreichbaren Grundstücke mit Briefen zu versorgen, wo die Sorben einst unter sich trachtengeschmückt ihre traditionellen Feste feierten, wo allenfalls DDR-Ausflügler mangels anderer Reiseziele die Idylle genossen, da opfert man nun die Romantik dem Kommerz.
Freilich - wer will es den Menschen im strukturschwachen östlichen Brandenburg verdenken, dass sie mit dem einzigen Pfund wuchern, welches sie haben? Hätte die Region nach 1945 Anschluss an die Entwicklung von Eifel-Maaren, Nordsee-Halligen oder Moselwein-Dörfern gehalten, so würde der Kontrast heute nicht auffallen. Aber wer den Spreewald vor der Wende kannte, wird sich mit der Disneyfizierung kaum abfinden können. Wo der Plastikstorch vom Ufer grüßt und die Vermarktung von Spreewald-Gurken nach dem »Drive-in«-Prinzip funktioniert, kann man sich nur noch in Sarkasmus flüchten. Denn das ist die »volle Dröhnung Spreewald«, wenn man auf der Kahnfahrt gar nicht mehr auszusteigen braucht, sondern die Gurke als eingedostes Gag-Mitbringsel quasi zu der mit einem Leopardenfell-Imitat belegten Bank heruntergereicht bekommt.
Wie lecker schmeckt da doch der Apfelkuchen, der auf »unserem« Kahn kredenzt wird. Die »anderen« müssen sich mit Schnaps und Bier als Proviant und Plastikrosen als Deko begnügen.
Rudelweise werden die »Touris« hier abgefertigt. Die Stocherkähne starten am Wochenende fast im Minutentakt zur Rundtour; längst hat man einige Fließe, wie die filigranen Verästelungen der Spree heißen, für Kajakwanderer sperren müssen. Gut, dass es eine gemächliche Tour ist, da fällt es kaum auf, wenn sich ein Stau bildet, außerdem braucht man als Fotograf ja a das Nachbarboot, welches das Zentrum des Motivs bildet: »Siehste, mit so einem Kahn sind wir gefahren.«
Lübbenau ist das Zentrum für den Spreewald-Tourismus, und das ist sogar gut so. Denn noch gibt es sie, die ruhigen Ecken, wo man noch Natur pur genießen kann, die traditionellen Bauernhäuser entlang der Wasserwege nicht bis ins Letzte perfekt restauriert sind - und Volksmusik-Unikat Achim Menzel regelmäßig die Massen zum Schunkeln einlädt. Im Unteren Spreewald findet man noch genügend solcher Idyllen, wenn man die Augen offen hält. Auch dort werden Kahnfahrten angeboten, bekommt man auf Wunsch einen Gurken-Snack - nur nicht so aufdringlich wie in Lübbenau.
Wobei es im Zentrum des Spreewald-Tourismus auch durchaus gelungene Beispiele gibt, wie man vom Tourismus profitieren und zugleich historisches Erbe pflegen kann. Das Schlosshotel in Lübbenau verdient da lobende Erwähnung. Die ehemalige Standesherrschaft Lübbenau ist seit 1621 im Besitz der Grafen zu Lynar, einem Adelsgeschlecht aus der Toskana, das einst durch den Festungsbaumeister Rochus Graf zu Lynar nach Deutschland kam.
Von den Nazis in der Folge des gescheiterten Attentats auf Hitler enteignet, zu DDR-Zeiten zweckentfremdet und beinahe abgerissen, haben die aus Portugal zurückgekehrten Besitzer ihr Anwesen behutsam Zug um Zug restauriert und zu einem gastronomischen Vorzeigebetrieb entwickelt, der zwar vom Massentourismus profitiert, sich aber dennoch wohltuend von der lauten volkstümelnd-bierseligen Fröhlichkeit abhebt. Dieses Neben- und Miteinander lässt hoffen, dass dem Gedanken des Biosphärenreservates künftig wieder stärker Rechnung getragen und gewisse Auswüchse etwas eingedämmt werden. Damit aus der »vollen Dröhnung Spreewald« wieder ein einzigartiges Naturerlebnis wird!
Thomas Albertsen
www.spreewald-online.de
www.schloss-luebbenau.de

Artikel vom 31.12.2005