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Rücktritte: Der schwere Abstieg im Sport-Gipfel

Überschätzt, verletzt und ausgebrannt

Wer kann das schon? Wer schafft das schon? Aufhören, wenn es am schönsten ist. Ganz oben, auf dem Gipfel, der freiwillige Abstieg. Runter vom Thron. Zurück auf den Boden. Der Rücktritt - für Spitzensportler die schwierigste Entscheidung ihrer Karriere. Den richtigen Zeitpunkt für ein gutes Ende zu finden, das gelingt nicht allen. Große Gewinner werden da nicht selten noch zu Verlierern.


Lance Armstrong (34), er hatte seinen »Nachruf« schon erstklassig kalkuliert, formuliert und bereits vordiktiert. Der Titel: »Ein Amerikaner in Paris«. Der Plan: Du holst dir im Juli 2005 den sechsten Sieg bei der legendären Tour de France. Das schaffte noch keiner.
Danach steigst du für immer vom Rad - und hast einen festen Platz in den Sport-Geschichtsbüchern.
Inzwischen sieht es so aus, als ob sich Armstrong vergeblich abgestrampelt hätte. Seine Geschichte liest sich jetzt anders. Ganz anders. Die einst so blitzsaubere Erfolgs-Bilanz ist dreckig geworden. Das schmutzige Wort »Doping« wird mit dem Namen Armstrong in einem Atemzug genannt. Es dürfte ewig an ihm kleben bleiben.
Denn Wochen nach seinem Tour-Triumph Nummer sechs und dem rauschenden Abschied in Paris stand der US-Amerikaner wieder im Blickpunkt. Doch diesmal nicht als bestaunter Super-Star. Nein, die heiße Luft war raus. Und der Radrennfahrer ziemlich platt. Denn sein Bild in der Öffentlichkeit änderte sich. Sofort.
Die französische Sport-Zeitung »L'Equipe« hatte Beweise zugespielt bekommen. Sie druckte die schweren Doping-Vorwürfe.
Eingefrorene Proben von vorvorgestern lassen Armstrong heute in einem eiskalten Licht erscheinen. Der bewunderte Tour-Held, war er schon immer ein Betrüger?
Armstrong reagierte mit der Drohung, er werde auch 2006 wieder bei der Tour antreten - um es allen zu zeigen. Aber da kann er noch so viele Gelbe Trikots überstreifen, seine Weste wird nicht mehr weiß. Nie mehr.
Doch wer hat die schon im Spritzen- und Spitzensport? Ein paar Flecken bekommt hier fast jeder ab, der jahrelang in diesem Titel- und Medaillen-»Zirkus« aufgetreten ist.
Spätestens wenn sie dann gehen, die einst gefeierten Gewinner, spätestens dann gibt es nicht immer nur freundliche Abschieds-Artikel. Die Begleitmusik, diesmal nicht mehr Dur, sondern nur noch in Moll. Zu weich. Zu reich. Oder zuletzt einfach zu schlecht.
Wie Hannah Stockbauer (23), die Schwimmerin, die immerhin fünf Weltmeister-Titel holte. Sie ging 2005 an Land, trocknete sich ab, packte den Badeanzug ein. Aus, vorbei. Nach zehn Jahren im Wasser will sie mit dem Sport nichts mehr zu tun haben. Warum? Stockbauer reagiert auf diese Frage stocksauer: »Ich habe nicht das Gefühl, dass mir in Zukunft etwas fehlen wird.«
Wenn sich die gute Hannah da nicht irrt. Denn die meisten Spitzenkönner, die die Bühne geräumt haben, sie kehren sehr oft und sehr schnell an den alten »Tatort« zurück. Als Trainer. Als Manager. Als Zeitungs-Kolumnist. Oder als Fernseh-Kommentator.
Sven Hannawald (31) sammelt jetzt bei der ARD ganz neue »Haltungsnoten«. Vor der Kamera und dem Mikrofon.
Große Sprünge will er nicht mehr machen. Ein »Flieger« ist auf der Erde gelandet. Und wie: überspannt, ausgebrannt. Der gefeierte Vier-Schanzen-Tournee-Sieger von 2002, der damals als erster Teilnehmer alle Konkurrenzen gewinnen konnte - heute nur noch ein vom Fernsehen befragter Experte.
Die neue Rolle: Zuschauer. Da befindet er sich in einem großen Kreis deutscher Wintersportlern, die kurz vor den Olympischen Spielen in Turin »Servus« sagten. Oder sagen mussten. Eine Ursache: Überschätzung. Gunda Niemann-Stirnemann wollte es nicht wahrhaben. Aber die ehemalige »Königin« kann mit ihren 39 Jahren halt nicht mehr so flott über die Eisschnelllaufbahnen flitzen wie in ihren besten Tagen.
Es dauerte allerdings ziemlich lange, bis sie zu dieser Erkenntnis kam - und endlich aufhörte. Ihre Kollegin und Rivalin Monique Garbrecht-Enfeldt (37), ebenfalls nur noch bedingt konkurrenzfähig, fasste ein paar Wochen später den selben Entschluss.
Schluss. Hilde Gerg (30) hatte dabei Tränen in den Augen. Denn das kann ein anderer Grund für den Abschied sein: Wenn schwere Verletzungen Karrieren beenden. So wurde die Skirennläuferin Hilde Gerg schmerzhaft gestoppt. Knie kaputt - und aus war der Traum von Olympia.
Die goldenen Zeiten sind für Christoph Langen (43) ebenfalls vorbei. Er wird keinen schnellen Bob mehr durch den Eiskanal steuern. Ab sofort hat nur noch die Gesundheit »Vorfahrt«. Ein Herzinfarkt war für ihn das ultimative Bremssignal.
»Gesundheitliche Probleme« führte auch Grit Breuer (33) an. Die Leichtathletin räumt die Rennbahn.
Zwei weltmeisterliche Profi-Boxer verstanden ebenfalls die Alarm-Zeichen des Körpers. Raus aus dem Ring - bevor es zu spät sein könnte. Denn die Liste der Faust-Kämpfer, die mindestens eine Runde zu viel in den Beinen haben, die ist schon lang genug.
Dariusz Michalczewski (37), genannt der »Tiger«, er wollte seinen Kopf nicht mehr hinhalten. Und sein schwergewichtiger Kollege Vitali Klitschko (34), sogar als »Doktor Faust« bezeichnet, warf nach einem Kreuzbandriss das Handtuch: »Ich gebe auf.«
Das machen nicht alle. Schon gar nicht freiwillig. Ihr »Rennen« muss weiter gehen. Immer weiter. Für einen wie Michael Schumacher sowieso. Sieben Weltmeister-Titel hat er bereits gewonnen. Eine Rekordmarke mit Langzeitwert. Denn hier übertrifft ihn sehr wahrscheinlich kein Konkurrent mehr.
Der erfolgsverwöhnte Formel-1-Champion, inzwischen auch schon 36 Jahre alt, fuhr 2005 allerdings weit hinterher. Nur noch Dritter. Das war bitter. Abgehängt von den jungen Piloten Fernando Alonso und Kimi Räikkönen.
Macht nichts. Schumacher greift 2006 wieder an. Den richtigen Zeitpunkt zum Rücktritt hat er ohnehin schon verpasst.

Ein Beitrag von
Klaus Lükewille

Artikel vom 31.12.2005