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August Strindberg

»Auch Frauen können Geheimnisse für sich behalten - vorausgesetzt, man erzählt sie
ihnen nicht.«

Leitartikel
Die Osthoff-Entführung

Es mehren sich die Fragezeichen


Von Rolf Dressler
Sehr diskrete und handwerklich gekonnte stille Diplomatie hat die im Irak entführte Susanne Osthoff allem Anschein nach vor dem Schlimmsten bewahrt. So jedenfalls versichert man es uns in der amtlichen Berliner Regierungssprache. Wohldosiert wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.
Und das ist allemal angemessen, wenn die 43-jährige Deutsch-Irakerin islamischen Glaubens - wofür offenbar sehr vieles spricht - tatsächlich aus akuter Todesgefahr erlöst und in sichere Obhut zurückgebracht werden konnte. Jedes einzelne Menschenleben ist solchen Aufwand und Einsatz wert. In jeder Hinsicht.
Dennoch keimen Fragen auf. Doch ob es darauf je bündige Antworten geben wird, bleibt bis auf weiteres völlig offen. Zu sparsam nehmen sich die bislang verfügbaren Informationen aus. Auf diesem Humus sprießen erfahrungsgemäß Spekulationen, Mutmaßungen, Gerüchte.
Derweil finden die an Susanne Osthoffs Befreiung aus der Geiselhaft maßgeblich beteiligten Spitzen der deutschen Politik hin- über und herüber Anerkennung und ungewohnt hohes Lob fürein- ander. Doch wenn die stille Diplomatie in diesem undurchschaubar verwickelten Fall mit Erfolg tatsächlich ganz große Räder gedreht hat, um welchen Preis ist das dann geschehen?
Welche Zugeständnisse über das rein Materielle hinaus musste sich die deutsche Regierung womöglich von den noch immer gänzlich unbekannten verbrecherischen Geiselnehmern abzwingen lassen? Ebenso wie schon bei voraufgegangenen Entführungen vollzieht sich auch im Fall Osthoff ein sehr bemerkenswerter Begriffswandel:
Mit der Begründung, man wolle das Leben der Geisel nicht unnötig gefährden, sprechen einzelne Verhandlungsbeauftragte ganz (in-)diskret auch schon einmal von »Aufwandsentschädigung« anstatt von »Lösegeld«, wie es seit eh und je gebräuchlich war. Das verleitet zu allerlei Rückschlüssen, mögen sie - im aktuellen Fall - der Aufhellung des Hintergrundes der Osthoff-Entführung dienlich sein oder nur übersteigerter Phantasie entspringen.
Bislang wird strikt Stillschweigen darüber bewahrt, mit wievielen Euros oder Dollars die Geisel freigekauft werden musste. Vielleicht erfährt die Öffentlichkeit das sogar nie.
Noch weit aufschlussreicher wäre Näheres über die schillernde Rolle, die sich Susanne Osthoff selbst zugedacht hat. Eine Rolle an der schmalen Scheidelinie zwischen der eigenen Herkunft und jener Kultur, der sie sich mit dem Übertritt vom christlichen zum islamischen Glauben schon vor längerem demonstrativ zugewandt hatte. Dank ihres ausgeprägt forschen Mundwerks, so heißt es, habe sie sogar in der Geiselhaft »auch ausgeteilt und ihre Entführer kräftig genervt«. Und was wäre davon zu halten, wenn Susanne Osthoffs Fahrer mit diesen Entführern unter einer Decke gesteckt haben sollte?
Die Fragezeichen mehren sich.

Artikel vom 23.12.2005