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Johann Wolfg. v. Goethe

»Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.«

Leitartikel
Geschmack weggespült

Im Wein sind
Zuckerwasser
und Chips


Von Reinhard Brockmann
Im Wein ist Wahrheit, aber auch noch so manches andere.
Mit einem Reinheitsgebot für deutschen Wein möchte Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) der Frage nach dem begegnen, was erlaubt ist. Er wird kaum mehr als ein weiteres Phantasiesiegel erreichen.
Bei der gestrigen Konferenz der europäischen Agrarminister kam der streitbare Bayer mit seinem ehrenvollen Engagement für einen guten Tropfen reichlich spät, vermutlich sogar zu spät. In den Beratungen über ein neues Weinhandels-Abkommen mit den USA haben sich Frankreich, Spanien und vor allem Italien längst von der reinen Lehre vom natürlichen Wein verabschiedet.
Auch sie wollen künftig Holzchips zur Geschmacksverbesserung verwenden dürfen. Nicht nur die US-Winzer könnten schon vom nächsten Jahr an zum Beispiel Wein anbieten, der eben nicht in Eichenfässern gelagert, sprich: zum Barriquewein ausgebaut wurde. Auch ist die Zugabe von bis zu sieben Prozent Wasser oder 35 Prozent Zuckerwasser erlaubt.
Selbst das Zerlegen und Wiederzusammensetzen der Bestandteile Alkohol, Wasser und Aromen soll künftig in europäischen Weinkellern erlaubt sein. In den USA, Chile, Südafrika und Australien ist das Verfahren längst üblich. Es dient dazu, Qualitätsschwankungen unterschiedlicher Jahrgänge auszugleichen, und funktioniert so schrecklich gut, dass am Ende die Lagen ständig gleich schmecken.
Ob 2003er Wein an einen Traumsommer erinnert oder nicht, spielt dann keine Rolle mehr - weil der Weltmarkt das so will. Wieder wird ein Stück Genusstradition auf dem Altar des globalen Handels geopfert und weggespült.
Denn während Seehofer noch vor der Kunstwein-Schwemme warnt, haben sich die großen Handelsverbünde bereits mit den US-Regeln arrangiert. Es lockt der riesige Konsummarkt jenseits des Atlantiks. Klar, dass so einfache Dinge wie guter Geschmack auf der Strecke bleiben.
Bis an die Grenzen des Erträglichen geht allerdings auch, was deutsche Marketingleute so alles anstellen mit einem Produkt, das zunächst lediglich als Glasflasche daherkommt. Schraubverschlüsse und verrückte Etiketten verprellen ebenso den Genießer wie manche Weinpräsente, die dieser Tage unter dem Christbaum liegen. Da gibt es neben der noch akzeptablen Kombination aus edlem Roten und Bitterschokolade auch die Kombikiste »Rotwein mit Notebook-Ventilator«.
Einen Vorgeschmack auf die Fußball-WM soll das Set Tisch-Kicker mit Wein und WM-Label machen. Den Vogel schießt Versender BA-RIC in Waldmohr ab. Dort packt man edle Weinflaschen in alte Holzbalken oder Beton. Wie der Beschenkte sie da wieder herausbekommt, wissen allerdings nur die Praktiker beim Herrenabend.
Armer Seehofer. Der Minister legt sich für eine weinselige Idylle ins Zeug, die es hierzulande längst nicht mehr gibt und die eigentlich keiner mehr will, mit Ausnahme der Weintrinker.

Artikel vom 21.12.2005