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Von Papst zu Papst

So viel katholische Kirche wie 2005 war noch nie

»Habemus Papam«: Am 19. April 2005 wurde »Josephum Cardinalem Ratzinger« um 18.43 Uhr vor den Ohren und Augen der Welt zu »Papst Benedikt XVI.« - nichts berührte die deutsche Seele mehr als das gemeinsam gefühlte »Wir sind Papst«. Fast einem biblischen Wunder gleich, auf keinen Fall rational zu erklären, blicken die Menschen im Lande Martin Luthers noch neun Monate später auf die bewegenden Wochen von Rom zurück.


Zunächst über Wochen die weltweit anschwellende, den Katholizismus überschreitende Frömmigkeit und Anteilnahme für den sterbenden Papst Johannes-Paul II.. Dann, nach einer Schrecksekunde, der kollektive Freudentaumel über einen Deutschen auf dem Stuhl Petri. Schließlich die Weltwallfahrt der Jugend nach Köln, geschart um ihr neues Idol.
Und: »Be-ne-detto«, »Be-ne-detto«, so schallte wie ein Schlachtruf die rhythmische Begeisterung über den Rhein, als der Heilige Vater am 18. August über den Wassern des deutschen Schicksalsstroms segnend die Arme ausbreitete.
So viel katholische Kirche wie 2005 war wohl noch nie.
Anfang April knieten tausende Gläubige, auch nachts, auf dem Petersplatz in Rom. Die Augen der Welt waren auf das Sterbezimmer gerichtet. Als am 2. April die Totenglocke läutete, ging ein Pontifikat außergewöhnlicher Missions- und Versöhnungsarbeit zu Ende. 26 Jahre hatte der 84 Jahre alt gewordene Pole die Massen begeistert, aber auch Gemeindezucht geübt und sich gegen die Verweltlichung und Sinnentleerung nach Kräften gestemmt.
Karol Wojtyla aus Krakau war ein Charismatiker, wie es in der Glaubensgeschichte nicht sehr viele gegeben hat. »Er hat der Kirche und dem Evangelium sein Gesicht gegeben«, meint der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper, »und zwar ein glaubwürdiges, ein sympathisches, ein menschliches Gesicht.«
Endgültig gewonnen hatte Johannes Paul II. die Sympathien mit seinem lauten und deutlichen Nein gegen den Irak-Krieg. Ein Papst, früher schon mal Antreiber christlicher Kreuzzüge, verweigerte nun dem »Kreuzritter Bush« seinen Segen - eine neue Qualität katholischer Kirchenpolitik.
Viele hatten noch in den 1980er und 90er Jahren geglaubt, dass selbst die katholische Weltkirche die Verdrängung des Christlichen nicht aufhalten könne, Rom auf verlorenem Posten stehe - bis zum alles erweckenden Aha-Erlebnis im April 2005.
Baff erstaunt waren nicht nur die Mediengewaltigen im Mutterland der Reformation über so viel zutage tretende Gläubigkeit, über die Begeisterung gerade der modernen, der jungen Generation für einen alten Mann.
Johannes Paul II. lebte öffentlich, er starb auch fast öffentlich. Wie von einem Verwandten, jedenfalls wie von einem nahestehenden, geliebten Menschen nahmen Millionen Abschied. Unvergessen bleibt der sterbenskranke Heilige Vater, der wenige Tage vor seinem Tod noch einmal zu vielen tausend Gläubigen auf dem Petersplatz sprechen wollte, der vor den Kameras der Welt nach Atem rang - und doch nichts anders herausbrachte als ein verzweifeltes Röcheln.
Der Philosoph Rüdiger Safranski sah den gebrechlichen Pontifex bei seinem letzten, stummen Auftritt am Fenster und begriff: »Die Botschaft, das war er.«

Artikel vom 31.12.2005