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Ökumene

Christen überwinden Mauern - Kirchen gemeinsam nutzen

»Mit meinem Gott überspringe ich Mauern«, heißt es in der Bibel im 18. Psalm. Dieser Satz steht sinnbildlich für das Grundlagenpapier »Ökumenische Gemeindepartnerschaften am Ort«, die Ende November 2005 von den beiden großen Kirchen in Westfalen und Lippe besiegelt wurde.


In Zukunft muss nicht das gemeinsame Handeln von evangelischen und katholischen Christen begründet und gerechtfertigt werden, sondern das getrennte.
Angesichts sinkender Einnahmen wachse an vielen Orten der Wunsch, sich durch eine gemeinsame Trägerschaft von Gebäuden auf die Zukunft vorzubereiten, betonten Präses Alfred Buß (Evangelische Kirche von Westfalen), Erzbischof Hans-Josef Becker (Erzbistum Paderborn), Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann (Lippische Landeskirche) und Bischof Dr. Reinhard Lettmann (Bistum Münster), bei der Besiegelung der Leitlinien. Die gemeinsame Nutzung von Gemeinderäumlichkeiten, insbesondere auch Kirchen, könnte dazu beitragen, dass Gemeinden am Ort präsent blieben.
Außerdem wurde Offenheit für weitere Partner vereinbart. Denn: Ökumenisches Miteinander umfasse mehr als die evangelischen und katholischen Gemeinden an einem Ort. »Darum sollte jede ökumenische Kooperation offen bleiben für die anderen christlichen Kirchen und Gemeinden am Ort, die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) sind«, heißt es in den Leitlinien. Hierzu zählen unter anderem Mennoniten, die Armenisch-Apostolische Orthodoxe Kirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten), die Koptisch-Orthodoxe Kirche, die Griechisch-Orthodoxe Metropolie, das Erzbistum der orthodoxen russischen Gemeinden und die Syrische Orthodoxe Kirche.
Die sichtbaren und die unsichtbaren Mauern zwischen den Christen verdunkelten die biblische Botschaft von Gottes Liebe, betonte Präses Buß. Für die Zukunft gelte, nicht mit dem Kopf durch Mauern zu wollen, nicht Mauern zu unterhöhlen oder niederzureißen, sondern mit heißem Herzen beflügelt darüber zu springen. Buß: »Wir müssen ja wirklich nicht alles einreißen und platt machen und einebnen. Wir müssen uns auch nicht mit der Räuberleiter heimlich rüberschleichen. Aber wir können über Mauern springen, können einander näherkommen und voneinander lernen und bunter werden.«
Es gehe nicht ohne den offenen Austausch und die Bereitschaft, das Gute beim anderen zu entdecken. Wenn den christlichen Kirchen das Geld ausgehe, warum teile man dann nicht, was möglich ist und nutzte Gemeindezentren oder Kirchen miteinander und nicht jeder für sich allein. Buß: »Bauen wir an ökumenischen Partnerschaften vor Ort. Zeigen wir einander darin, was wir lieben.«
Nach Angaben von Erzbischof Josef Becker geht es bei den neuen Leitlinien um eine deutliche Dokumentation der bereits gesicherten Wegetappen. Becker: »Angesichts besonderer finanzieller und struktureller Veränderungen wächst in vielen Gemeinden der Wunsch, die Wahrnehmung der Aufgaben durch eine gemeinsame Trägerschaft für die Zukunft zu sichern.«
Als praktische Beispiele für die Zusammenarbeit werden unter anderem auch regelmäßige ökumenische Gottesdienste, Ehevorbereitungskurse, Feste und soziale Arbeit genannt.
Ein weiteres bereits praktiziertes Beispiel ist der von der Lippischen Landeskirche und dem Erzbistum Paderborn vereinbarte konfessionell-kooperative Religionsunterricht. 37 von 72 lippischen Grundschulen haben für das laufende Schuljahr Anträge auf Religionsunterricht in gemischt konfessioneller Lerngruppe gestellt. Die Schulabteilungen beider Kirchen sind verpflichtet, begleitende Fortbildung für Lehrer anzubieten. Im Verlauf von drei Jahren sollen Religionslehrer mit Hilfe der geplanten Fortbildung »ökumenische Kompetenz« erwerben.
Anschaulich beschreibt der Sprecher der Westfälischen Landeskirche, Andreas Duderstedt, ein (noch) fiktives Beispiel von ökumenischer Gemeindepartnerschaft am Ort.
Dreihundert Meter Luftlinie von der Martin-Luther-Kirche entfernt liegt das Gemeindezentrum St. Franziskus. Bisher lebte man in guter, aber eher distanzierter Nachbarschaft. Das wird sich nun ändern: Die evangelische Luther-Gemeinde und die katholische Pfarrei St. Franziskus sind dabei, eine Partnerschaft zu gründen.
Das 1961 erbaute Martin-Luther-Gemeindehaus neben der Kirche ist stark sanierungsbedürftig. Durch das Flachdach dringt Regenwasser, im Jugendkeller herrscht Modergeruch. Das Gebäude mit dem Charme eines großen Schuhkartons wird durchschnittlich zwölf Stunden pro Woche genutzt: Kirchenchor, Frauenkreis, Gospelchor, Konfirmanden, Posaunenchor, Teenie-Treff, Bastelgruppe, Predigtnachgespräch. Im katholischen Gemeindezentrum sieht es ähnlich aus. Allerdings ist das Gebäude, Anfang der Achtziger Jahre entstanden, in gutem Zustand. Die Luther-Gemeinde könnte die Sanierungskosten für ihr Gemeindehaus kaum aufbringen. Die katholischen Nachbarn überlegen, wie sie ihre schönen Gemeinderäume besser auslasten können.
Nach zahlreichen Vorgesprächen und mehreren Gemeindeversammlungen bereiten nun beide Seiten einen Partnerschaftsvertrag vor: Das Gemeindezentrum St. Franziskus wird ökumenisch genutzt. Man ist sich über das große Ziel einig. Aber an den Details wird noch gefeilt. Wer zahlt, wenn mal eine Scheibe zu Bruch geht? Und: Bleibt der Name, der für manche Protestanten doch »arg katholisch« klingt?
Luther und Franziskus einigen sich schließlich. Und sie vereinbaren auch gleich, in Zukunft mindestens an jedem Pfingstmontag einen ökumenischen Gottesdienst zu feiern. Das soll der Beginn eines Miteinanders sein, das über eine vertraglich geregelte Nutzung hinausgeht. Denn schließlich heißt es in den Leitlinien auch: Gemeinsame Nutzungsverträge setzen voraus, »dass die Partnerschaft mit Leben erfüllt werden kann.«

Ein Beitrag von
Ernst-Wilhelm Pape

Artikel vom 31.12.2005