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Drei Tage ohne Schlaf am Steuer

27 Verletzte: Staatsanwalt erhebt Anklage gegen Fahrer aus Espelkamp

Von Christian Althoff
Espelkamp (WB). 73 Stunden soll ein Busfahrer aus Espelkamp (Kreis Minden-Lübbecke) ohne nennenswerten Schlaf unterwegs gewesen sein, als er im Juli mit 35 Reisenden in der Nähe von Bonn verunglückte. Gestern hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Fahrer erhoben - wegen fahrlässiger Körperverletzung in 27 Fällen.

Der Mitarbeiter des Reiseunternehmens Tappe aus Espelkamp hatte am 4. Juli - es war ein Montag - im Bergischen Land 35 zumeist ältere Menschen aufgenommen, um mit ihnen zu einer Kaffeefahrt nach Koblenz zu starten. Um 9.30 Uhr war der Bus im Autobahnkreuz Meckenheim nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und umgekippt. 23 Reisende erlitten Prellungen, vier wurden schwerer verletzt: Sie kamen mit Rippen- und Beckenbrüchen ins Krankenhaus, eine Frau sogar mit einem Herzinfarkt.
»Nach der Auswertung der Tachoscheibe geht der Gutachter davon aus, dass der Fahrer bereits 500 Meter vor der Unglücksstelle eingeschlafen ist«, sagte gestern Fred Apostel, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn. Der 52-Jährige sei »erheblich übermüdet« gewesen und habe in den Tagen vor dem Unfall so gut wie keinen Schlaf gefunden. »Wir haben das anhand von Zeugenaussagen rekonstruieren müssen, denn ausgerechnet die Tachoscheiben für den fraglichen Zeitraum waren in dem Espelkamper Busunternehmen nicht aufzufinden.«
Der 52-Jährige Fahrer und sein Beifahrer waren am Freitag vor dem Unfall um 8.30 Uhr in Espelkamp zu einer dreitägigen Paris-Fahrt aufgebrochen. »In Paris hatten sie kaum Möglichkeiten zu schlafen«, sagte Apostel. In der Nacht von Samstag auf Sonntag habe der Bus um Mitternacht die französische Hauptstadt verlassen. »Der Bus brachte die Touristen nach Köln, Bremen, Hamburg und Rostock zurück und traf schließlich nach 22 Stunden Fahrt in Espelkamp ein.« Die beiden Männer hätten dann das Fahrzeug noch gereinigt, und um 0.30 Uhr sei der 52-Jährige schon wieder aufgebrochen - zu der Kaffeefahrt, die neun Stunden später abrupt geendet hatte.
Gegen das Reiseunternehmen hat die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben: »Wir konnten nicht nachweisen, dass die Verantwortlichen wussten, dass der Fahrer keine Zeit zum Schlafen hatte«, sagte Fred Apostel. Der Fahrer selbst bestreitet, eingeschlafen zu sein, und hat angegeben, ihm sei plötzlich schlecht geworden. Ein Termin für den Prozess gegen den Mann aus Espelkamp steht noch nicht fest
Norbert Block vom Fachbereich Verkehr der Gewerkschaft Verdi Bielefeld-Paderborn sagte gestern, die Nichteinhaltung der Ruhezeiten sei in vielen Firmen an der Tagesordnung: »Bei der Einstellung eines Fahrers lässt sich das Unternehmen von ihm unterschreiben, dass er die Vorschriften einhält. Damit ist die Firma meist aus dem Schneider, während der Fahrer, der um seinen Arbeitsplatz bangt, Gesetze missachtet.« An die Verbraucher gewandt sagte Block, wer eine Busreise »für ein paar Euro« buche, dürfe sich nicht wundern, wenn der Fahrer übermüdet sei. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 21.12.2005