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Bahn schiebt
Arbeiter durch
heißen Asphalt

Schwerverletzter gewinnt Prozess

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Ein Bauarbeiter (42) ist in Bielefeld von einer Straßenbahn angefahren und fünf Meter durch frischen, heißen Teer geschoben worden. Das Landgericht hat jetzt den Verkehrsbetrieb »Mobiel« verurteilt, für die Versorgung des Arbeiters aufzukommen, der seit dem Unfall berufsunfähig und zu 50 Prozent behindert ist.

Der Bauarbeiter der Firma Asphalt Kleemann war zusammen mit seinen Kollegen damit beschäftigt, den Bereich zwischen den Straßenbahnschienen zu asphaltieren. Er hatte gerade eine Karre mit heißem Teer in das Gleisbett geschoben und war dabei, sie auszuschütten, als ihn die Straßenbahn von hinten anfuhr. Ein Augenzeuge: »Der Arbeiter stürzte in den heißen Teer und wurde von der Bahn etwa fünf Meter weit geschoben. Er hat vor Schmerzen geschrien und versucht, sich die heiße Kleidung vom Leib zu reißen.« Der Arbeiter sei schließlich aufgesprungen und im Schock panisch umhergelaufen, so dass er von Kollegen eingefangen werden musste.
Vor Gericht argumentierte der Verkehrsbetrieb, ein Baustellen-Sicherungsposten habe rechtzeitig ein Warnsignal gegeben, das von dem Arbeiter aber nicht befolgt worden sei. Dieser Argumentation schlossen sich die Richter jedoch nicht an. Sie wiesen darauf hin, dass der Sicherungsposten nicht nur ein Signal zu geben habe, sondern kontrollieren müsse, ob es befolgt werde. Im Ernstfall habe der Posten die Bahn mit einem Notsignal zu stoppen. Außerdem habe für Arbeiter die Vorschrift bestanden, vor dem Verlassen der Gleise Werkzeuge und ähnliches mitzunehmen. Da der betreffende Bauarbeiter gerade eine Karre mit Teer ausgeleert habe, als die Bahn kam, sei ein schnelles Verlassen der Gleise nicht möglich gewesen.
Die Verkehrsbetriebe hatten außerdem versucht, die Klage mit Hinweis auf das Sozialgesetzbuch auszuhebeln. Denn dieses Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer bei Berufsunfällen keine Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche gegen ihren Arbeitgeber haben, und dass dieser Ausschluss sich auch auf weitere Unternehmen erstreckt, die etwa auf einer Baustelle zusammenarbeiten. »Dieser Haftungsausschluss gilt jedoch nur bei einer Gefahrengemeinschaft, also etwa zwischen Bauarbeitern unterschiedlicher Firmen. Eine solche Beziehung hat jedoch zwischen dem Arbeiter und dem Straßenbahnfahrer nicht bestanden, da der Arbeiter ja für den Fahrer keine Gefahr dargestellt hat«, sagt Rechtsanwalt Arnold Riedenklau, der den Bauarbeiter vertreten hat. Das sah die 2. Zivilkammer ebenso. Sie sprach dem Arbeiter 8000 Euro Schmerzensgeld zu und verurteilte den Verkehrsbetrieb, für alle Folgekosten den Unfalls aufzukommen.
Der Bauarbeiter, der Verbrennungen und Prellungen erlitten hatte, ist inzwischen aus psychischen Gründen berufsunfähig geschrieben. Anwalt Riedenklau: »Er hat die Todesangst nie verarbeitet, die er gespürt hat, als er von der Bahn durch den heißen Teer geschoben wurde.« Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Artikel vom 28.12.2005