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Wenn Campino ohne Strom ist

»Tote Hosen« experimentieren unplugged - Interview mit dem Frontmann

Bielefeld (WB). Es waren wohl die zwei ungewöhnlichsten Konzerte, die »Die Toten Hosen« bislang absolviert haben: Die Düsseldorfer Band spielte gänzlich ohne Strom im altehrwürdigen Wiener Burgtheater -Ênatürlich für ein Unplugged-Album. Über die Aufnahmen und die Pläne für 2006 berichtet Hosen-Sänger Campino im Interview.
Euer Unplugged-Konzert aus dem Wiener Burgtheater wird in diesen Tagen zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit vorgeführt. Wie ist das Experiment gelaufen? Campino: Für mich waren die Tage in Wien eine super Erfahrung. Es ist eigentlich alles viel schöner geworden, als ich es mir vorher erhofft hatte. Ich bin weniger davon überrascht, wie die Lieder geworden sind. Das konnte ich mir immer schon vorstellen. Ich habe wirklich nie daran gezweifelt, dass wir das schaffen würden, unseren Liedern eine andere Note zu geben und dass wir Dinge aus diesen Liedern rausholen würden, die vielleicht sonst nicht zu hören sind. Es gibt ja Leute, die sagen, dass die Toten Hosen eine reine Party-Band sind. Ich habe das nie nachvollziehen können, weil für mich auch immer eine grüblerische Seite da war. Wir haben natürlich gerne partymäßig auf die Glocke gehauen, aber wir haben auch immer Sachen gemacht, die in sich gekehrt waren.

Woher kommt so eine Einschätzung Deiner Meinung nach? Campino: Es kann sein, dass durch die laute Musik und die daraus resultierende Aggression diese nachdenklichere Note manchmal verloren gegangen ist. Ein Lied wie »Nichts bleibt für die Ewigkeit« hört sich in der Unplugged-Version plötzlich sehr traurig an. Und die Leute hören den Textzeilen auf einmal ganz anders zu. Wenn das Aggressive weg ist, wird offenbar klar, dass das kein sehr lustiges Lied ist. Mir war das beim Schreiben der Zeilen schon bewusst, dass ich damit nicht gerade einen Spaß-Song geschrieben hatte. Dadurch, dass die Musik insgesamt ruhiger geworden ist, haben manche Lieder wohl eine andere Intensität bekommen. Die Bedeutung der Worte kommt etwas besser raus.

Was war für Dich die größte Umstellung auf der Bühne? Campino: Es ist kein großes Geheimnis, dass ich mit dem Sitzen wirklich nicht gut klar komme. Sitzen und Singen verbietet sich für mich eigentlich. Ich habe 23 Jahre im Proberaum gestanden. Wenn man eingeknickt sitzt, ist der Bauch nicht frei. Das ist eigentlich widersprüchlich zum Singen. Das gehört aber zum Reglement von Unplugged und dient dazu, sämtliche Ablenkungen wegzulassen. Die Zuschauer und die Band sollen sich nur auf die Musik konzentrieren, ohne Showeffekte und Gehampel. Natürlich war das eine Breitseite gegen mich, weil ich ja davon lebe, meine Unsicherheiten zu überspielen, indem ich mich viel bewege. Das war also sehr gewöhnungsbedürftig auf diesem Flight-Case zu sitzen. Einen Stuhl wollte ich nicht, das Flight-Case war für mich so ein Kompromiss. Halb sitzen, halb stehen, das ging irgendwie. Mit der Zeit hätte ich mich da vielleicht auch dran gewöhnt und würde mich auch irgendwann wohlfühlen, aber für die zwei Abende war es ein unangenehmer Moment. Ich habe versucht, es als Herausforderung zu sehen. Und jetzt Schwamm drüber.
Die CD/DVD von »MTV Unplugged« enthält vier neue Stücke von Euch. Wieso habt Ihr Euch dafür entschieden, diese mit dieser Platte zu veröffentlichen? Campino: Eigentlich wollten wir die Party-Schiene aus der »Unplugged« komplett raus lassen, also die normalen Abfeier-Hymnen. Wenn wir das komplett ignoriert hätten, wären wir aber unserem Job nicht gerecht geworden. Das Flaggschiff, also unser »Eisgekühlter Bommerlunder«, gehört einfach dazu, damit die ganze Bandbreite der Hosen in irgendeiner Form vertreten ist. Ich wollte unter keinen Umständen, dass das Ganze zu ernst, zu traurig, zu staatstragend daher kommt. Ich habe es als Chance gesehen, dass die Leute an einem Unplugged-Abend viel mehr dazu bereit sind zuzuhören als bei einem normalen Rockkonzert. Bei einem normalen, lauten Konzert sind neue Lieder eigentlich immer Stimmungsbremsen. Die Menschen wollen mitmachen, wissen aber nicht so richtig, wie der Refrain geht. Da ist es mit dem Tanzen auch erstmal nicht so günstig. Man kann also normalerweise nur eine gewisse Dosis an Neuheiten zulassen, ohne den Abend zu ruinieren.

Für Euch steht jetzt eine längere Bandpause an. Was darf man 2006 trotzdem von Euch erwarten?Campino: Ich möchte in Berlin gern den Mackie Messer in der »Dreigroschenoper« spielen, die von Klaus Maria Brandauer inszeniert wird. Ich mache mir da jetzt noch keine schlaflosen Nächte, aber ich habe die Chance, da mit gestandenen Profis zu arbeiten. Brandauer ist einer der besten Schauspieler aus dem deutschsprachigen Raum, die es je gab. Ich freue mich über jede Stunde, die er mit mir verbringen wird und in der er mir Sachen erzählt, von denen ich lernen kann. Das Ganze wird bestimmt ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. Ich sehe das nicht als Scherz, den man nebenbei macht. Auf keinen Fall soll das Projekt daran scheitern, dass ich zu wenig übe oder mich nicht intensiv vorbereite.

Artikel vom 29.12.2005