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Dahrendorfs Denkmodell

Was Tony Blair der Queen gesagt hätte


Bei einer Diskussion im Wissenschaftszentrum Berlin kommentierte Professor Lord Ralf Dahrendorf die Rede, mit der Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestages bekanntgegeben hatte, mit dem folgenden Gedankenmodell. Dahrendorf schickte voraus »die berühmten acht Sätze (ich zähle nur sieben)«, mit denen der Bundespräsident am 21. Juli die Lage kennzeichnete, die Neuwahlen nötig macht:
»Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie dagewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten.«
Es folgt dann noch der achte Satz: »In dieser ernsten Situation braucht unser Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann.«

Dahrendorf fügt an, was seines Erachtens Tony Blair angesichts desselben Sachverhalts an die Adresse von Königin Elisabeth II. vermutlich hätte sagen lassen:

»Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder liegen in unserer Hand. Veränderungen in der Welt der Arbeit fordern unsere Phantasie und unsere Fähigkeiten heraus. Die Regierung kann und wird denen helfen, die sich nicht selbst helfen können; aber wir werden unsere Kinder nicht mit Schulden belasten, um uns ein bequemeres Leben zu verschaffen. Auch in der Politik gilt es, Entscheidungen dort, wo die Menschen leben, also dezentral zu treffen; darum werden wir die föderale Ordnung modernisieren. Eine Gesellschaft, die älter wird, kann auf die reiche Erfahrung ihrer Bürger bauen, weiß aber auch, dass die Förderung der Familie besonders wichtig ist. Der weltweite Wettbewerb ist für uns ein Ansporn zu Innovation und Initiative.
In dieser neuen Situation wird meine Regierung die Ziele, die allen Bürgern zugute kommen, mit Stetigkeit und Nachdruck verfolgen.«

Artikel vom 31.12.2005