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Susanne Osthoff im Jahr 2003 bei der Vorbereitung eines Hilfstransportes. Foto: dpa

Irak-Kennerin mit Kontakten

Archäologin leistete seit Jahren humanitäre Hilfe

Berlin (Reuters). Susanne Osthoffs Lebensmotto könnte lauten: »Wer die Nerven verliert, ist tot.« Nicht nur die im Irak verschleppte Deutsche, auch ihre Entführer und alle, die für ihre Freilassung arbeiteten, haben die Nerven behalten.

Nach mehr als drei Wochen in der Gewalt ihrer Entführer kam die leidenschaftliche Archäologin und Helferin gestern frei. Das Land, dessen Menschen und Kultur sie über alles liebt, wurde ihr nicht zur Todesfalle.
Ob der Bayerin bei der Freilassung ihr jahrelanges humanitäres Engagement für die irakische Zivilbevölkerung zu Gute kam, ist noch ungewiss. Zumindest hatte es dazu beigetragen, dass auch so einflussreiche Geistliche wie der radikale Schiiten-Prediger Muktada al-Sadr sich öffentlich für ihre Freilassung eingesetzt hatten. Der Irak fasziniert Osthoff seit Jahrzehnten und ließ sie nicht mehr los, seit sie während ihres Archäologie-Studiums an der Universität München zu Ausgrabungen mitgenommen wurde.
Seit 1991 unterstützte die fließend Arabisch sprechende Frau Hilfsaktionen für den Irak. Außerdem kämpfte sie nach dem Krieg von 2003 gegen die Plünderung und Zerstörung von Ausgrabungsstätten im Irak. In den 90er-Jahren konvertierte Osthoff zum Islam, heiratete einen Beduinen, von dem sie inzwischen wieder geschieden ist. Teilweise lebte Osthoff im Irak, teilweise in Deutschland.
Im Irak-Krieg von 2003 erreichte sie Medienberichten zufolge als erste humanitäre Helferin mit einer Lieferung von Notfall-Medikamenten die Hauptstadt Bagdad. »Die Flüchtlinge kommen nicht raus aus Bagdad, also muss ich rein«, sagte sie in einem Interview. Die Reise in den Nordirak, auf der sie entführt wurde, galt der Rettung von Kulturschätzen. Dass dies gefährlich war, war Osthoff spätestens seit dem Frühsommer bewusst. Sie hatte Drohungen aus der Umgebung des irakischen Al-Kaida-Chefs Abu Mussab al-Sarkaui erhalten. Die deutsche Botschaft hatte sie nach Darstellung des »Spiegel« mehr als 15-mal aufgefordert, das Land zu verlassen.
Im Juni flog sie nach Deutschland, hielt es dort aber nur einige Wochen aus. Mitte September kehrte sie in den Irak zurück. Dass sie bewusst ein großen Risiko mit der Fahrt in den Nordirak eingegangen sei, hält ihr Bruder für unwahrscheinlich. Sie habe sehr viele Kontakte etwa zu Stammesführern und Beduinenchefs gehabt und daher abgewogen, die Reise unternehmen zu können. »Ich denke, meine Schwester hat sich ziemlich sicher gefühlt.«

Artikel vom 19.12.2005