17.12.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Anrüchig, unanständig, stillos

Heftige Kritik an Schröders Anschlussbeschäftigung in Putins Russland

Von Rolf Dressler
Bielefeld (WB). »Instinktlos«, »politisch-moralisch unanständig«, »skrupellfreies Gebaren zum eigenen Nutzen«. Eben-noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder zieht nahezu einhellige, geharnischte Kritik auf sich wegen seines Blitzwechsels ins russische Erdgas-Geschäft.

Das WESTFALEN-BLATT do-kumentiert dazu Passagen aus Leitartikeln und Kommentaren überregionaler deutscher Tageszeitungen.
Gerhard Schröder sei nicht etwa zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Fußballbundesligisten Hannover 96 oder der dortigen Stadtwerke ausgerufen worden, sondern ausgerechnet bei der großmächtigen Betreibergesellschaft jener Erdgasleitung, »deren Bau er als Bundeskanzler mit seinem Freund Wladimir Putin durchgesetzt hatte - unter Inkaufnahme außenpolitischer Kollateralschäden«, schreibt die »Süddeutsche Zeitung« und fährt fort:
Vor dem Hintergrund seiner engen Verbindung mit Putin habe Schröder jahrelang eine sehr bedenkliche Russland-Politik »ohne auch nur Reste von Skrupeln« betrieben. Und dabei »übernahm er vollinhaltlich Putins Propaganda von der angeblichen russischen Demokratie«. Mit anderen Worten: An Rechstaatlichkeit und Bürgerrechten im größten Staat der Erde habe der SPD-Kanzler Schröder »keine für die Öffentlichkeit erkennbares Interesse gezeigt«, bemerkt die »Süddeutsche Zeitung« und fügt hinzu:
Schlimm genug sei allein schon, dass »der Verdacht der privaten Kapitalisierung einer Kanzlerentscheidung« überhaupt entstehen könne.
In die gleiche Kerbe schlägt auch die »Frankfurter Rundschau« (FR). Dort ist unter anderem zu lesen:
»Die Sache stänke selbst dann, wenn sie unentgeltlich wäre.« Trete Schröder dieses Amt tatsächlich an, wäre das »die Verwandlung eines politischen Fehlers in einen Akt mangelnden Anstands«, noch dazu eingefädelt mit dem »autoritär waltenden Präsidenten Putin«, den Schröder nie und nimmer als angeblich »lupenreinen Demokraten« hätte titulieren dürfen.
Die »fatalste Botschaft« verstehe der nach Meinung der FR allzu selbstherrliche Schröder offenbar überhaupt nicht: »Wer glaubt, Schröder sei schon zu Kanzler-Zeiten zu sehr Aufsichtsrat und zu wenig unabhängiger Politiker gewesen, wird sich nun bestätigt fühlen. Und wer glaubt, das Konzerne und ihre Aufsichtsräte die Politik zu beherrschen suchen, auch.«
Es sei gänzlich »stillos, wenn ein Altkanzler derart schnell in die Wirtschaft wechselt«, weil er - auch um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit - offenbar so rasch wie möglich so viel Geld wie möglich machen wolle.
»Einer wohlgemerkt, der vorher jahrelang um Vertrauen für sich als Repräsentant des allgemeinen Interesses geworben hat und sich nun schwupp-die-wupp für konkrete Firmeninteressen verdingt.«
Offenbar würden hier öffentliche und private Interessen miteinander verquickt. Falls Schröder also privat auch nur einen Euro zusätzlich für den Aufsichtsratsvorsitz bei genau dem russischen Erdgasleitungsgroßprojekt erhalten sollte, das er persönlich als deutscher Bundeskanzler vorangetrieben und erst vor wenigen Wochen im Namen Deutschlands mit seiner Unterschrift besiegelte, wäre das »politisch unanständig«, urteilt die »Frankfurter Rundschau«.
Schließlich die Einschätzung der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Zwi- schen leiser Ironie und Ernsthaftigkeit meint sie zu der »Anschlussbeschäftigung des vormaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder« unter anderem:
»Wie schön, wenn ein lupenreiner Demokrat etwas Einfluss auf ein solches Unternehmen (wie Gazprom) gewinnt!« Bisher allerdings habe allein schon Schröders Ankündigung Deutschland eher geschadet, nach innen und nach außen. Denn hier trete »der hierzulande notorische Widerspruch« zwischen öffentlichem und privatem, politischem und persönlichem Handeln besonders unangenehm zutage. Ja, es stelle sich die drängend Frage »nach der inneren Unabhängigkeit eines deutschen Regierungschefs«, heißt es in der FAZ. Folglich müsse man Schröders Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes in Sachen Russen-Erdgasleitung selbst bei wohlwollender Betrachtung zumindest als »instinktlos« bezeichnen.
Mit diesem Thema befasst sich auch der Leitartikel

Artikel vom 17.12.2005