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Hat einen schweren Stand in Brüssel: Tony Blair.

Merkel bringt Bewegung in die
festgefahrenen Verhandlungen

Kompromissplan der Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel positiv aufgenommen

Brüssel (dpa). Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Freitag mit einer Kompromissformel Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen beim EU-Finanzgipfel in Brüssel gebracht. Zugleich signalisierte der britische Premierminister Tony Blair Bereitschaft, seinen umstrittenen Vorschlag zum EU-Finanzplan für 2007 bis 2013 nachzubessern.

Das neue Kompromissmodell wollte er noch am Freitag unterbreiten. Ob die britische EU-Ratspräsidentschaft damit den Konflikt mit Frankreich überwinden und einen Durchbruch zur Lösung der schweren EU-Finanzkrise erreichen kann, blieb jedoch zunächst unklar. Bei Redaktionsschluss lag am Freitagabend noch kein Ergebnis vor.
Nach Angaben von Diplomaten sprach sich Merkel für eine Erhöhung des Gesamtvolumens um 13,2 Milliarden Euro aus. Das sei »einhellig positiv aufgenommen« worden. Das Volumen des Finanzplans würde damit auf 862,5 Milliarden Euro wachsen, was Deutschland und den anderen Nettozahlern der EU mehr Geld abverlangen würde als der britische Vorschlag.
London hatte als Obergrenze 849,3 Milliarden Euro genannt, was 1,03 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung entspricht. Die von Merkel ins Gespräch gebrachte Erhöhung würde 1,045 Prozent entsprechen. Sie würde damit etwa in der Mitte liegen zwischen dem im Juni gescheiterten Vorschlag der Luxemburger Präsidentschaft (1,06 Prozent) und dem bisherigen britischen Modell.
Blairs Sprecher Tom Kelly äußerte sich zuversichtlich. Es habe »einige Fortschritte« bei der Suche nach einem Kompromiss gegeben. Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker sagte: »Ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass wir es schaffen.« Der schwedische Regierungschef Göran Persson sagte, er sehe eine Chance von 50 Prozent für eine Einigung. Die schwierigsten Fragen müssten noch geklärt werden. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso meinte, alle Regierungen müssten sich bewegen.
Bei dem neuen Vorschlag Blairs geht es dem Vernehmen nach um eine Revisionsklausel, nach der die EU eine grundlegende Diskussion über alle Teile des Budgets bereits 2008 oder spätestens 2009 beginnt. Eine solche Überprüfung, die bisher von Frankreich aus Sorge um den Erhalt der Agrararsubventionen abgelehnt wurde, gilt als Voraussetzung für ein Einlenken Blairs beim Abbau des britischen EU-Beitragsrabatts.
Vor allem die drei wirtschaftlich stärksten EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien versuchten in intensiven Gesprächen, eine Wiederholung des Misserfolgs beim Finanzgipfel vom Juni abzuwenden. Mehrfach trafen sich Merkel, Chirac und Blair, der die Konferenz leitete. Im Mittelpunkt ihrer Gespräche stand nach Angaben aus den Delegationen eine Formulierung, die es erlauben würde, das EU-Finanzsystem gründlich zu überprüfen und eventuell noch während der Planungsperiode 2007-2013 zu ändern.
Blair will mit einer solchen »Revisionsklausel« einen massiven Abbau der Subventionen für die Landwirtschaft erreichen. Chirac will das verhindern, weil die französischen Bauern davon stark profitieren. Er und andere erwarten ihrerseits von den Briten den Verzicht auf einen bedeutenden Teil des nur ihnen gewährten Nachlasses beim EU-Beitrag, dem milliardenschweren Briten-Rabatt.
Im Gegensatz zum Juni-Gipfel verzichteten die Kontrahenten aber auf gegenseitige Schuldzuweisungen. In mehreren Delegationen wurde betont, die Gespräche seien konstruktiv, wenn auch schwierig.
Blairs Sprecher sagte: »Alle arbeiten an einer Übereinkunft.« Allerdings gebe es wenig Spielraum, sowohl bei den Finanzen als auch bei den politischen Streitfragen. »Wir müssen anerkennen, dass eine Vereinbarung nicht ideal sein kann, aber realistisch.«
Einmütig verurteilten die Staats- und Regierungschefs die israel-feindlichen Bemerkungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. »Diese Äußerungen sind völlig inakzeptabel und haben in einer zivilisierten politischen Debatte keinen Platz«, hieß es in einer Erklärung des Gipfeltreffens.

Artikel vom 17.12.2005