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Barbara v. Ow-Freytag,
Stiftung Deutsch-
Russischer Austausch

»Putins Modernisierung durch Wiederbelebung der alten Machtapparate wird am Ende scheitern.«

Leitartikel
Russisches Roulette 2005?


Zwischen Zürich, Zug
und Irgendwo


Von Rolf Dressler
»Geschichtliches Wissen ist die Grundlage politischer Klugheit«, sagte einst der berühmte preußische Rechtsgelehrte Christian Thomasius (1655 - 1728).
Ein Grundproblem unserer Zeit liegt offen zutage: Die Politiker von heute haben zwar eine (meist sehr forsche) Meinung über die deutsche Geschichte, aber vieles davon wissen sie nicht oder wollen es nicht wahrhaben.
Ein leibhaftiger zeitgenössischer Bundeskanzler, erst vor kurzem aus dem hohen Amt geschieden, wechselt gerade in diesen Tagen in auffälliger Windeseile auf den fürstlich dotierten Aufsichtsrats-Chefstuhl des russischen Erdgas-Monopoli- sten Gazprom. Fortan also kann Gerhard Schröder denkbar entspannt und bequem zwischen gleich zwei Komfortbüros pendeln: Das eine hält der Schweizer Ringier-Verlag für den Ex-Kanzler im schönen Zürich bereit, und das zweite befindet sich, nur einen Katzensprung von dort entfernt, in der Gazprom-Residenz im schweizerischen Städtchen Zug.
Besonders delikat: Gerade die SPD ist bekanntlich über Jahrzehnte immer wieder Sturm gelaufen gegen genau diese »Auslagerung« von Firmen- und Scheinfirmensitzen ins eidgenössische Steuerparadies. Aber das streift ein Gerhard Schröder - weltläufig, wie er sich am liebsten sieht - of- fenbar locker ab. Ja, er bekommt dafür neben gepfeffertem Tadel auf breitester Front zumindest vereinzelt sogar Schützenhilfe.
Henning Voscherau etwa, Parteifreund und politischer Weggefährte Schröders, freut sich riesig - »für ihn und für Deutschland«. Und DGB-Chef Michael Sommer erklärt die Kritik an des Ex-Kanzlers Blitz-Umstieg zu Gazprom rundweg für »verlogen«.
So sehr dem in Bedrängnis ge- ratenen Schröder solche Fürsprache gefallen mag, so ungelegen muss ihm das vernichtende Urteil über Putins Russland kommen, das Platon Lebedjew, inhaftierter früherer Spitzenmanager des von Putins Staatsmacht zerschlagenen Ölkonzerns Yukon, soeben in einem Gespräch mit der »Frankfurter Allgemeinen« gefällt hat:
- Russlands Machthaber seien »nicht nur politisch zynisch, sondern kriminell, schwer zu sagen, was überwiegt«.
- Sie legten es vor al- lem darauf an, »Geld in verschiedene Taschen zu verteilen«.
- Gegen Recht und Gesetz treffe die herrschende Nomenklatura »offenkundig« immer neue »verbrecherische Entscheidungen«. Menschenrechte würden reihenweise gebrochen, selbst Vorgaben des russischen Verfassungsgerichts seien für die Mächtigen nur Schall und Rauch.
Lebedjews Fazit: »Die Mächtigen um Putin glauben sich selbst nicht, anderen auch nicht, und sie verdächtigen alle.«
Platon Lebedjew weiß genau, wovon er spricht. Seit Oktober verbüßt er 2000 Kilometer östlich von Moskau, jenseits des Polarkreises im Straflager OG 98/3, eine achtjährige Haftstrafe. Makaber grüßt der berüchtigte Gulag.
Wer die Geschichte kennt zwischen Zürich, Zug und Irgendwo...

Artikel vom 17.12.2005