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Beim Confed Cup war Deutschland stark, beim Losen hatte es Glück

Weltmeister - das magische Wort

Die Zuversicht des Jürgen Klinsmann ist in diesem Jahr weitaus beständiger gewesen als die deutsche Verteidigung. Es mag sogar sein, dass der unerschütterliche Optimismus des Bundestrainers auf Bereiche abfärbt, die er eigentlich gar nicht beeinflussen kann.


Nur weil er sich gut fühlt und das Gute für die Mannschaft fühlt, bekommt auch der oberste Zurschau-Träger deutschen Fußball-Frohsinns nicht gleich eine WM-Vorrundengruppe serviert, die ihm erschienen sein muss wie ein Weihnachtsmärchen.
Costa Rica, Polen, Ecuador.
Fast hätten sie Klinsmann kneifen müssen. Und niemand im Land ist bei dieser Losung aus Leipzig vor Schreck vom Schemel gefallen. Eher schon dachten die Leute: Da kannste einfach nicht rausfliegen.
Erst als sich die spontanen Freudenkundgebungen gelegt hatte, gab es erste Zwischentöne. Mit kaiserlicher Kompetenz wurde daran erinnert, dass vor allem Eröffnungstreffen von Fußball-Weltmeisterschaften üble Fallensteller sind. Franz Beckenbauer erinnerte stellvertretend für alle Bedenkenträger daran, wie sich Favoriten auf dem Feld schon verirrt haben zu solchen Gelegenheiten.
Aber letzten Endes musste man am Abend des 9. Dezember viel Gutes sagen über den Umgang mit dem Gastgeber. Die Glücksfeen waren milde gestimmt, während sie anderen - wie den Niederländern -. die kalte Schulter zeigten. Und wer diese drei Aufgaben in der Gruppe A nicht so ausführt, dass er unbehelligt ins Achtelfinale einzieht, dem sollte dafür wohl ein WM-Ausschluss für die nächsten 20 Jahre drohen.
Ein frühes Scheitern hat in der Gedankenwelt des Jürgen Klinsmann auch gar keinen Platz. Damit beschäftigt er sich nicht. Der Bundestrainer träumt nicht nur vom Titel, er spricht auch davon. Weltmeister. Was für ein magisches Wort. Weltmeister Deutschland. Klingt noch besser. Oder doch eher nach Wahnsinn?
Es warten nicht nur Costa Rica, Polen und Ecuador. Danach kämen die Kracher, und mit denen war schon seit einigen Jahren und vielen Spielen nicht so gut Kirschen essen. Jeder kennt die schwarze Serie, man kann es darum kurz machen: Einen »Großen« haben die Deutschen schon seit Oktober 2000 nicht mehr klein gemacht.
Zuletzt gab es zwar ein ermutigendes 0:0 in Frankreich, doch der Ex-Welt- und Europameister hat schon bessere Tage erlebt und war auch gerade erst von einer strapaziösen Länderspielreise nach Martinique zurückgekehrt. Dort hatte die Mannschaft nur mit äußerster Mühe 3:2 gegen Costa Rica gewonnen. Costa Rica? Können die also doch mehr als wir ahnen? Müssen wir das mit der Glücksgruppe noch einmal neu überdenken?
Nein. Wichtig ist, ob die DFB-Auswahl anschließend in den K.o.-Runden zu einer Steigerung fähig ist, die noch über die starken Ansätze beim Confed Cup hinausgeht. Getragen von den zauberhaften Zuschauern bewegten sich die Klinsmannen auf Augenhöhe mit Argentinien und Brasilien, sie schlugen Mexiko. Das waren Fußball-Feten und Tor-Feste, die Spaß machten und Hoffnung gaben, es könne sich für Deutschlands Mannschaft Triumphales ereignen 2006 im eigenen Land.
Nur Kahn knurrte. Olli machten einen auf böser Onkel. Der Torwart-Titan bewachte zwar beim sommerlichen Testturnier nur im Wechsel mit Rivale Lehmann das DFB-Gehäuse, aber er kassierte und kassierte wie ein Sparkassenangestellter. Das vogelwilde Vorgehen bei den 4:3-Siegen gegen Australien und Mexiko nahm ihm den letzten Nerv.
Alle nach vorn, niemand mehr hinten. So stellt sich höchstens Fritzchen vor, dass man damit Champion werden kann. Ein Torwart weiß es besser. Hurra, Hauruck und Harakiri sind nicht die handelsüblichen Zutaten, um der Welt ihren Meister zu zeigen. Selbst Brasilien setzt auf Disziplin in der Defensive, bevor es mit dem Ball tanzt. Der WM-Titelverteidiger beherrschte den Confed Cup zwar nicht nach Belieben, gewann ihn allerdings am Ende souverän und eindrucksvoll. Beim 4:1 im Frankfurter Finale gegen Argentinien drehten die Zampanos vom Zuckerhut richtig auf und verzückten auch die deutschen Fans.
Die wissen schon, dass ihre eigenen Jungs bei der WM zwar zum erweiterten Kandidatenkreis zählen mögen, nicht jedoch zu den Top-Favoriten. Ist nicht die Abteilung Abwehr viel zu jung und grün für eine so anspruchsvolle Prüfung? Jansen (20), Sinkiewicz (20), Mertesacker (21), Huth (21), Lahm (22): alle noch im zarten Fußball-Alter. Im Vergleich damit könnten Metzelder (25) und Friedrich (26) fast Seniorenpässe beantragen.
Bei der Sektion Attacke ist der Mangel an Erfahrung kein so bedeutendes Defizit. Podolski (20) und Schweinsteiger (21) wirbelten beim Confed Cup und weiteren Länderspielen, dass es eine Wonne war. Die Boulevard-Blätter übten sich schon darin, aus beiden einen zu formen. Podolssteiger und Schweinski konnten das Niveau anschließend in ihren Vereinen aber nicht halten.
Die Führungspersönlichkeiten der Nationalmannschaft sind gegen Formeinbrüche auch nicht immun, wissen sich jedoch besser dagegen zu wappnen. Kapitän Michael Ballack vergisst nie, dem Gegner seine Präsenz zu zeigen. Dazu fährt der Münchener gern sein Mundwerk aus - oder auch die Sense. Er ist der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Spiel, dem besser nichts geschehen sollte bis zur WM und bei der WM. Gegen die Franzosen zog Ballack sogar mit einer Zerrung bis zum Ende durch.
Weitere Vorangeher auszumachen, die dem DFB-Team den Weg weisen, fällt schon schwer. Der Bremer Stürmer Klose verfügt über die nötige Reputation, natürlich auch Kahn. Ihn allerdings stellte Klinsmann auf eine besondere Probe, die auch Titanen zu schaffen macht. Der Bundestrainer äußerte sich zum süffisanten Torwart-Thema ungefähr so: Die Nummer eins heißt Kahn, aber ob Kahn auch die Nummer eins bei der WM ist, weiß er noch nicht.
Auf alle Fälle rückte im Länderspiel-Jahr 2005 auch Lehmann regelmäßig in den Kahn. Und dieser Konkurrent kämpft verbissen um seine letzte Chance, doch noch ein bedeutendes Turnier auf dem Pfosten-Posten zu erleben und nicht bei den Reservisten. Dazu öffnet der Londoner gelegentlich sein Arsenal, feuert wortreich aus allen Rohren. Spekuliert wurde schon, dass der 36-Jährige die Bude räumt, wenn der Befehlshaber ihn auf die WM-Bank drückt.
Wer weiß schon, was wird? Torhüter haben ein langes Leben. Kahn deutete an, dass er nach seiner Vertragsverlängerung beim FC Bayern bis 2008 das deutsche Tor noch ebenso dauerhaft besetzt halten könnte. Bis zur nächsten EM in Österreich und der Schweiz also, und dieser Anlass ermöglicht jetzt den Hinweis, dass bei aller Hysterie um die Weltmeisterschaft 2006 der Fußball anschließend nicht für immer abgepfiffen wird.
Die Perspektiven für die in zwei Jahren folgende EURO sind so schlecht vielleicht nicht, weil es in letzer Zeit einige Talente zu beobachten gab, die schon eine gewisse Zukunftstauglichkeit zeigten. Der Mönchengladbacher Polanski, der Dortmunder Odonkor, der Leverkusener Castro - ein bisschen tut sich ja was. Und die meisten der WM-Einsatzkräfte sind ohnehin erst 2008 im besten Fußball-Alter.
Klar müssen sich die Deutschen erst qualifizieren, mit dem sprichwörtlichen Losglück wird es dabei also nichts. Aufgrund mangelnder Vorleistung bei den letzten Kontinentalspielen landen sie beim Kugelrollen im Januar in Topf zwei. Eigentlich unter ihrer Würde - das sind eben auch die unbarmherzigen Spätfolgen von Portugal 2004.
Damals unter Völler schon in der Vorrunde verschieden zu sein, brachte den neuen Teamchef Klinsmann hervor, der seither von Kalifornien aus die nationale Kickerei konzipiert, koordiniert und kommandiert. Der Halb- Amerikaner mag den Job in seiner Heimat und hat schon ein paar Gedanken daran verschwendet, ihn auch nach der WM fortzuführen. Nur mochte sich der in seinen Profijahren welt-wanderlustige Stürmer aus Schwaben nicht festlegen lassen.
Der Deutsche Fußball-Bund hat Klinsmann bisher zwar noch nicht die einst so einschusssicheren Füße geküsst, aber ihm weitestgehend freie Hand gegeben. Der Verband möchte sich auch nicht schon wieder auf die Suche begeben. Schwer genug ist es ihm gefallen in den vergangenen Jahren.
Zunächst gilt das Augenmerk der WM und einem erfolgreichen Abschneiden in jeder Beziehung. Experten würden nicht unbedingt darauf wetten, attraktive und offensive Marschrouten zu sehen, obwohl sich gerade Klinsmann dies für seine Mannschaft vorgenommen hat. Durchmogeln mag er nicht, es muss ja trotzdem nicht gleich mit einem 5:0 gegen Costa Rica beginnen.

Ein Beitrag von
Friedrich-Wilhelm Kröger

Artikel vom 31.12.2005