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Paul Valéry

»Dein Feind triumphiert endgültig über dich, wenn du glaubst, was er über dich redet.«

Leitartikel
Das Los der Friedenssucher

Ist der Traum schon
ausgeträumt?


Von Rolf Dressler
Nichts scheint ungeheurer als - der Mensch. Dabei ist dieses geflügelte Wort durchaus doppeldeutig gemeint. Es gilt in beide Richtungen: für das Segensreich-Gute wie auch für das Abgründig-Böse.
Jeder neue Tag, beinahe jede Stunde liefert dafür neue Belege, erhebend die einen, bestürzend, befremdend und beschämend die anderen. Leider jedoch gerät beglückendes menschliches Denken und Tun immer wieder und nur zu rasch aus dem Blickfeld, sobald Menschen Ungeheuerlichkeiten verbrechen und damit alle Aufmerksamkeit und die geballte Sensationsgier geradezu magisch auf sich ziehen.
Viele werden sich achselzuckend sagen, so sei sie eben, unsere verrückte Menschen-Welt und niemand könne daran jemals wirklich etwas ändern. Wenn diese Welt nun aber tatsächlich unverrückbar sein sollte, wie sie ist oder zu sein scheint: Können und dürfen wir uns dann einfach geschlagen geben? Dürfen wir - ungeachtet der eigenen und der Existenz der nachfolgenden Generationen - entmutigt resignieren? Können wir zum Beispiel kapitulieren vor jenem Unkulturschock, den Mahmut Ahmadineschad, Staatsoberhaupt der Iranischen Republik (?) Iran, nicht »nur« dem Todfeind Israel gleich mehrfach zu versetzen versucht?
Welches Bild gewinnen daraus wohl unsere Kinder und Kindeskinder, denen - auch nach eigenem Wünschen und Wollen - doch schon heute aufgetragen ist, die Welt von morgen so menschlich-friedlich und lebenswert wie nur irgend möglich zu gestalten?
Ihnen und allen Gutwilligen, wo auch immer auf dem Erdenrund sie beheimatet sind, könnten das Zutrauen in die eigene Gestaltungskraft abhanden kommen. Denn immer wieder müssen sie mitansehen und mitanhören, wie fanatisierte politische Führer und gnadenlose Unterdrücker - über den ideologischen oder politisch-religiösen Herrschaftsanspruch sogar noch weit hinaus - Tod und Verderben, kurz: Massenvernichtung, in Aussicht stellen.
Das Signal des Mahmut Ahmadineschad könnte daher fataler nicht sein. Hitlers Holocaust an den Juden sei eine freie Erfindung der alliierten Kriegsgegner; folglich gebe es nur eine (End-)Lösung: entweder werde das jüdische Volk bis zum letzten Mann ausgelöscht oder - im etwas milderen Fall - müsse der Staat Israel schleunigst auf das Gebiet Deutschlands, Österreichs oder sonstwo in Europa verfrachtet werden.
Solche wüsten Ausfälle machen sprachlos, davor zurückweichen darf und sollte die freie und de- mokratisch verfasste Staatenwelt aber keinesfalls. Das wäre Wasser auf die Mühlen derer, die nur da- rauf warten, dass wieder irgendein rabiater Machthaber, in welcher Weltgegend auch immer, ihren abenteuerlichen Rachephantasien kräftig Futter gibt.
An der Jahrtausendwende hatte die Menschheit inständig auf ein friedvolleres neues Jahrhundert gehofft.
Ist der schöne Traum schon ausgeträumt? Hoffentlich nicht.

Artikel vom 16.12.2005