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Harte Hand und lange Leine

Wie Bert van Marwijk mit der Dortmunder »Jugend« die Bayern schlagen will

Von Klaus Lükewille
Dortmund (WB). Es gibt Trainer, die legen Computer-Dateien und Akten-Ordner an. Oder sie machen sich während der 90 Minuten pausenlos Notizen, wie der zurzeit arbeitslose Ewald Lienen. Einer ist da anders. Ganz anders. Ein penibler Bundesliga-Buchhalter wird Bert van Marwijk nie werden.

Borussia Dortmunds Fußball-Lehrer bezeichnet sich deshalb aber nicht etwa als schreibfaul: »Quatsch. Aber ich brauche keinen großen Packen Papier. Bei mir steht alles auf einem Blatt.«
Und außerdem: Dieser Niederländer nimmt auch kein Blatt vor den Mund. Bert van Marwijk (53) gilt als Bekenner der offenen und deutlichen Ansprache. Doch allzu viel Gerede, das stört ihn ebenfalls. Denn sein Leitsatz lautet so: Man muss es machen, nicht sagen.
Und es ist ja klar, mit welchen Worten er seine Mannschaft an diesem Samstag um 15.30 Uhr gegen den Favoriten FC Bayern München auf den Dortmunder Rasen schickt: »Wir sind zwar nur Außenseiter, aber wir wollen trotzdem die drei Punkte holen.«
In den letzten 180 Minuten gingen die Borussen leer aus. 0:2 gegen Hannover, 0:2 in Frankfurt. Der Höhenflug, der die junge Truppe schon auf Rang fünf abheben ließ, wurde kurzfristig gestoppt. Jetzt droht sogar der Sturz auf Platz zehn. Aber mit einer dritten Niederlage in Serie möchten die Schwarz-Gelben nicht in die Winterpause gehen. Ein Heimsieg gegen die Bayern, das wäre die passendere »Bescherung« vor dem Weihnachtsfest. Felix Magath, der Trainer des Titelverteidigers, er weiß, was seine Auswahl erwartet: »Es ist eine reizvolle Aufgabe, wenn 80 000 Zuschauer eine Mannschaft verlieren sehen wollen.«
Vor allem die Fans auf der Südtribüne, längst in »Gelbe Wand« umbenannt, sie stehen garantiert wieder wie eine Mauer hinter ihren Borussen. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das anders. Da schimpften sie von oben auf die »Scheiß-Millionäre« da unten, die viel kassierten und viel zu wenig zeigten.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute präsentiert Dortmund die jüngste Mannschaft im Oberhaus. Gegen die Bayern fehlt neben dem gesperrten Tomas Rosicky auch der verletzte Routinier Christian Wörns (34). Das Durchschnittsalter wird dadurch noch weiter nach unten gedrückt. Es könnte bei 21 Jahren liegen.
»BVB - Balljungen Verein Borussia« betitelte die Frankfurter Rundschau schon die Mannschaft, der die Zukunft gehören soll. Eine lange Verletztenliste, dazu finanzielle Altlasten und dadurch begrenzte Einkaufsmöglichkeiten, so »stellte« sich diese Nachwuchs-Truppe fast von selbst auf. Aber der Grat zwischen begeisterndem Jugendstil und gefährlichem Jugendwahn, der ist schmal. Bert van Marwijk warnt: »Man darf nicht zu viel verlangen.« Also auch keinen »Dreier« gegen die Bayern?
Den würden die Dortmunder selbstverständlich zu gern buchen. Der Trainer stimmte seine »Boy-Group« in den letzten Tagen auf das »Finale« des Jahres 2005 ein: »Das wird eine große Herausforderung für meine jungen Leute.« Die führt er mal an der langen Leine, dann wieder mit harter Hand.
Der Angreifer David Odonkor, früher Bünder SV, heute Stammspieler der Borussia, er sagt über seinen Chef: »Wir dürfen bei ihm auch Fehler machen.«
Aber bitte gegen die Bayern nicht schon wieder solche dicken Schnitzer wie zuletzt zu Hause gegen Hannover, als Odonkor und Philipp Degen die Niederlage »vorbereiteten«. Dann wird »Papa Bert« böse und zieht seinen »Spiel-Kindern« die Löffel lang.
Sie sollen schließlich lernen, sie müssen besser werden. Die Ausbildungszeit läuft. Aber nicht mehr lange. Denn van Marwijk kennt den Dortmunder Druck: »Wenn immer 80 000 Zuschauer zu den Heimpartien kommen, dann kann man nicht fünf Jahre hintereinander nur im Mittelfeld mitspielen.«

Artikel vom 17.12.2005