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Soldaten stoppen Randalierer
mit Schild und Tränengas

Seit den Kosovo-Unruhen 2004 hat die Bundeswehr bessere Ausrüstung

Aus dem Kosovo berichtet
Dirk Schröder
Prizren/Augustdorf (WB). Nach den Unruhen im Kosovo vom März des vergangenen Jahres hat es auch schwere Vorwürfe gegen die in der zweitgrößten Stadt Prizren eingesetzten deutschen Soldaten gegeben. Es war eine bittere Lehrstunde. Die Bundeswehr hat aus den damaligen Fehlern gelernt.

Heute wird die serbische Minderheit umfangreicher geschützt als je zuvor. Die Präsenz der Truppen in der Region ist »verdichtet« worden, und noch wichtiger, sie ist unkalkulierbar. Niemand weiß vorher, wo die Soldaten auftauchen, täglich wechselt die Route der Kontrollgänge und -fahrten. Mit dieser Taktik ist es bisher gelungen, das Überkochen von Emotionen schon im Ansatz zu unterdrücken.
Zudem sind die Ausrüstung und Ausbildung verbessert worden. Die Soldaten trainieren den Umgang mit randalierenden Menschenmengen und haben dafür die entsprechende Ausrüstung erhalten: Schutzschilde, Schlagstöcke, spezielle Helme, Pfefferspray, Tränengas, Gummigeschosse und Wasserwerfer. Mit dieser sogenannten CRC-Ausrüstung (»Crowd-Riot-Control« oder Kontrolle von Massen-Aufständen) ist die Bundeswehr zufrieden. 300mal ist die persönliche Schutzausrüstung im Bataillon vorhanden. »Da gibt es nichts zu meckern«, erklärt der Kommandeur des Einsatzbataillons KFOR, Oberstleutnant Karsten Jahn.
Schon zuhause haben die Soldaten die polizeilichen Praktiken eingeübt, um gewalttätigen Massenprotest abzuwehren. Doch auch im Kosovo geht das Training weiter. Auf einem Platz im »Camp Casablanca«, gut zehn Kilometer von Prizren entfernt, sind 100 Soldaten der Panzerbrigade 21 aus dem lippischen Augustdorf angetreten, um den Ernstfall zu üben.
Gewalttätige Demonstranten, von gut einem Dutzend Soldaten dargestellt, sollen zur Ruhe gebracht werden.
Auf jede Stufe der Eskalation hat die CRC-Truppe eine entsprechende Antwort bereit, unter anderem auch den Einsatz von Hunden. Und der Eingreiftruppe gelingt es, besonders gewalttätige Demonstranten in einem Überraschungsangriff aus dem Mob herauszuholen. Hauptmann Jan T., Kompaniechef der Augustdorfer Soldaten: »Entscheidend ist, dass im Ernstfall jeder Griff und jeder Schritt automatisch sitzt.« Dies könne nur durch viel Drill eingeübt werden.
Der Ernstfall ist den lippischen Soldaten bisher erspart geblieben - alle bisherigen fünf Demonstrationen verliefen friedlich. Doch die CRC-Soldaten sind beispielsweise auch in Bereitschaft, wenn sich Serben eine Immobilie ansehen.
»Mir Dita« (guten Tag) rufen die Menschen den Soldaten zu, wenn diese mit ihren gepanzerten Truppentransporter Dingo in die ländlichen Regionen rund um Prizren fahren, um dort Präsenz zu zeigen, Fahrzeuge zu kontrollieren oder auch in den unwegsamen Bergdörfern nach dem rechten zu sehen. Dies ist eine weitere Aufgabe der KFOR-Truppen.
Über schlechte Straßen geht es in die Has-Region südwestlich von Prizren. Schließlich fährt der Konvoi über einen besonders holprigen Weg in eines der Bergdörfer. Man sollte nicht glauben, dass hier noch andere Autos unterwegs sind. Doch weit gefehlt, sogar ziemlich neue Pkw kommen den Soldaten entgegen. Das muss jemandem, der sein Auto liebt, sehr weh tun. Doch anders kommen die Menschen nicht in die entlegenen Orte, wollen sie nicht stundenlang laufen.
Am Rand eines der Bergdörfer halten die Soldaten mit ihren Dingos an - Fußstreife ist angesagt. Als sie an einer Schule vorbeikommen, stehen die Jungen und Mädchen laut rufend und winkend an den Fenstern. Doch diese Kinder aus den Bergdörfern blicken in eine düstere persönliche Zukunft. Selten gehen sie länger als sechs Jahre zur Schule, auf die wenigen Gymnasien können nur die Kinder reicher Eltern gehen.
Die Chancen sind gering, dass die Jungen und Mädchen »vom Lande« den Kreislauf durchbrechen werden. Allein der Zusammenhalt in der Familie ist ihre Zukunft: Der Älteste wird nach Deutschland oder in die Schweiz geschickt. Von seinem Geld leben dann die anderen. Beim Gang durch das Dorf sieht man die ganze Armut der Menschen. Auch hier liegt, wie überall im Kosovo, der Müll herum.
Auf dem Rückweg in das Camp errichten die Soldaten noch einen »Checkpoint«, um Fahrzeuge auf verdächtigen Inhalt hin zu überprüfen. Nicht länger als 20 Minuten dauern die Kontrollen, dann kommt kaum noch ein Auto vorbei. Wenn etwas klappt im Kosovo, ist es das Informationssystem über Handy.
Manchmal schlagen die Soldaten auch im Großaufgebot zu. Bei der »Operation Dragons Son« errichtete die Bundeswehr mit 410 Soldaten 13 Checkpoints gleichzeitig. Eine Stunde lang wurden nahezu 1400 Personen überprüft. Das Ergebnis war zwar mager: zwei Festnahmen, ein Munitionsfund. Oberstleutnant Jahn war dennoch mit der Operation zufrieden: »Ein Beweis dafür, dass in Autos kaum noch etwas transportiert wird.« Die organisierte Kriminalität finde ohnehin vornehmlich in wenigen Großfamilien statt. »Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist in die Kriminalität nicht eingebunden.«

Artikel vom 21.12.2005